«Mir scheint es, dass das Internet und die Social Media eine Welt, in der es früher Erwachsene und Kinder gab und in der ganz klar die Erwachsenen den Takt vorgaben, in eine universale Schulcafeteria für Vierzehnjährige verwandeln. Eine Welt, in der es niemanden schert, wer oder wie Du wirklich bist: Was zählt, ist dein Image, und das höchste Ziel ist es, möglichst viele Likes zu sammeln.»
Bevor ich mit dem Schreiben dieses Editorials begann, stiess ich in der NZZ (14.10.17) auf diese Aussage des Schriftstellers Jonathan Franzen. Franzen ist beileibe kein hinterwäldlerischer Gegner der Informatik, aber er erspart uns nicht die grundsätzlichen Gedanken darüber, wie der Mensch als Nutzer mit den grenzenlos anmutenden digitalen Möglichkeiten umgehen soll. Bei seinen Überlegungen greift er weit zurück auf prophetische Gedanken von Karl Kraus: «Wir waren kompliziert genug, um die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen.» Es geht ihm um die Frage, ob die Botschaft aus Silicon Valley «We’re making the world a better place» für die Entwicklung der Menschheit und der Menschlichkeit zutrifft oder unter welchen Bedingungen sie zutreffen könnte.
Damit sind wir mitten in der Thematik des diesjährigen MedEd Symposiums (Bericht in dieser Ausgabe S. 1396), das sich mit der Bedeutung digitaler Technologien für die ärztliche Bildung auseinandersetzte. Es ging darum, inwieweit die Informatik mit all ihren Optionen für die Medizin in die Lernzielkataloge aufgenommen werden muss und inwieweit sie im Rahmen von Blended-Learning- und Simulations-Projekten für die Weiter- und Fortbildung genutzt werden kann. Die Referenten waren sich einig: Wir befinden uns mitten in einem schnellen Entwicklungsschub, der es zurzeit schwierig macht, das Nutzbringende und Bleibende von den technologischen Eintagsfliegen zu unterscheiden.
Sicher ist, dass sich die berufliche Tätigkeit von Ärzten und der Patientenkontakt verändern werden. Berufsbilder werden sich verschieben: Bedarf an Radiologen oder Pathologen zum Beispiel wird es immer geben, aber die primäre morphologische Analyse der Aufnahmen oder Präparate wird durch einen Computer erledigt werden. Die Riesendatenbanken, die künstliche Intelligenz, die Monitoring- und Robotersysteme − sie alle werden in dem Sinne genutzt werden müssen (und das will gelernt sein!) wie es von den Referenten formuliert wurde: Als Werkzeuge, welche die menschlichen Möglichkeiten nicht ersetzen dürfen, sondern erweitern können. Eine Referentin formulierte es prägnant: «We need training how to work with the artificial intelligence system: when to trust an algorhythm, when to trust the own intuition and asking the right questions.»
Auch bei der Nutzung elektronischer Medien für Ausbildungszwecke stecken wir in einem Entwicklungsprozess. Noch vor kurzem wurde das E-Learning, die stumme Zwiesprache mit dem Computer im Kämmerlein oder in der Bibliothek, als die Zukunft der Vermittlung von Lerninhalten angesehen – günstig, standardisiert, zeitlich und örtlich wählbar. Inzwischen sind sich die Praktiker ärztlicher Bildung weitgehend einig, dass das reine E-Learning den Präsenzunterricht nicht ersetzen, sondern nur ergänzen kann. In der Medizin geht es eben fast immer nicht nur um das reine Vermitteln von Fakten. Fragestellungen müssen diskutiert und priorisiert werden, die Kommunikation spielt oft eine entscheidende Rolle und so heisst der neue didaktische Favorit «blended learning», die Sequenz von virtuellen und Präsenzphasen.
Der Umgang mit der Informatik und die kluge Nutzung ihrer Möglichkeiten müssen bei den Verantwortlichen für die ärztliche Bildung hohe Priorität erhalten.
Ja, und da war noch etwas: In einem überzeugenden Referat zerpflückte Gerd Gigerenzer die ungenügende Kompetenz vieler Ärztinnen und Ärzte bei der Analyse statistischer Evidenzen und beim Durchschauen von irreführenden Berichterstattungen über Studienresultate. Überlebens- und Mortalitätsraten, relative und absolute Risiken, bedingte Wahrscheinlichkeiten und natürliche Häufigkeiten sind Begriffe, die nicht nur im berühmten Buch mit den sieben Siegeln stehen sollten, sondern im Hinblick auf die immer wieder notwendigen Entscheidungen unter Unsicherheit von den Ärzten verstanden werden müssen. Nur so bleiben sie kompetente Berater für ihre Patienten.
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