Fünf Fragen an PD Dr. med. Bastian Grande, Medical Director des Simulationszentrums am USZ
Das Simulationszentrum, das Sie leiten, bietet Trainings speziell für interprofessionelle Teams an. Was sind die Vorteile solcher Trainings?
Wir konnten nachweisen, dass die Leistung eines Teams steigt, wenn es interprofessionelles Arbeiten übt. Die Teammitglieder fühlen sich dadurch sicherer, weil sie wissen, was die anderen tun, und keine Angst haben, untereinander auch manchmal heikle Themen anzusprechen. Dadurch können Hierarchien abgebaut, kann gewaltlos kommuniziert und können Vorurteile gegenüber anderen Berufen überwunden werden. Es schafft Verständnis dafür, dass alle, mit denen man zusammenarbeitet, kompetent sind und sich bestmöglich um das Wohl der Patientin oder des Patienten kümmern wollen.
Warum ist es so wichtig zu wissen, was andere tun? Besteht nicht die Gefahr von Schnittstellen?
Wenn jeder eingeübt hat, auch die Aufgaben der anderen zu machen, dann weiss jeder, was zu welchem Zeitpunkt zu tun ist. Alle können jederzeit einspringen, wenn jemand Hilfe braucht. Es gibt viele Überschneidungen zwischen den Gesundheitsberufen, so z.B. in der Anästhesie. In diesem Bereich führt das Pflegepersonal ärztliche Tätigkeiten durch. Wichtig ist, zu kommunizieren und die Rollen zu klären, sprich wer macht was. In der Physiotherapie kann die Ärztin oder der Arzt auch Patientinnen und Patienten mobilisieren, muss dies aber klar mit der Physiotherapeutin bzw. dem Physiotherapeuten absprechen: Wie weit greift wer ein, wann ist eine physiotherapeutische Behandlung sinnvoll? In der Interprofessionalität gibt es kein Regelbuch, jede Situation ist anders und muss zwischen den beteiligten Personen ausgehandelt werden.
Es handelt sich um Trainings. Kann das Gelernte im stressigen Alltag wirklich umgesetzt werden?
Ein wichtiger Punkt ist der Transfer des Wissens in die Praxis. Dies geschieht durch Gespräche und Briefings mit denjenigen, die noch nicht über dieses Wissen verfügen. Das Argument «Wir haben keine Zeit» ist eigentlich unberechtigt: Es hat sich gezeigt, dass das gemeinsame Nachdenken über die Zusammenarbeit im Team schneller und effizienter geht als ein Debriefing über eine Patientin oder einen Patienten. Es werden auch heiklere Themen angesprochen. Jeder geht mit einem klareren Kopf und manchmal auch mit einem leichteren Herzen nach Hause.
Was ist mit älteren Kolleginnen und Kollegen, die nicht in Interprofessionalität geschult worden sind? Machen sie mit?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kolleginnen und Kollegen unter den starren Strukturen gelitten hatten und froh waren zu sehen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen auch anders funktionieren kann. Andere sagen: «Ja, das ist schön und gut, aber man muss auch zeigen können, dass es etwas bringt.» Es handelt sich schlicht um einen Kulturwandel, der stattfinden muss. Ich selbst hatte während meiner Ausbildung nie einen Kurs zu diesen Themen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Interprofessionalität für alle Fachpersonen der Gesundheitsberufe eine Selbstverständlichkeit sein wird.
Im Vergleich zu Ländern wie Schweden und Kanada hinkt die Schweiz in Bezug auf die interprofessionelle Ausbildung hinterher. Woran liegt das?
Meiner Meinung nach fehlt der politische Wille dazu und damit auch die Strukturen, die solche Ausbildungen fördern. Die FMH könnte hier eine wichtige Rolle spielen. Zudem gibt es keine Fachgesellschaft, die sich speziell dem interprofessionellen Training widmet. Die Fachgesellschaften arbeiten unabhängig voneinander. Ein frappantes Beispiel: Die Broschüren, die nach Kongressen verteilt werden, sind in zwei Teile gegliedert, einen für die Pflege und einen für die Ärzteschaft. Das ist quasi der Gipfel, wenn man bedenkt, dass wir täglich zusammenarbeiten.
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