Wie die optimale Dienstplanung gelingt

Tribüne
Ausgabe
2022/35
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20898
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(35):1114-1118

Affiliations
a Klinik für Allgemeine Innere und Notfallmedizin, Bürgerspital Solothurn, Solothurn, Schweiz
b Universitäres Notfallzentrum, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern, Schweiz

Publiziert am 30.08.2022

Die Dienstplanung ist für Spitäler eine Herausforderung: gesetzliche Rahmenbedingungen, Wünsche der Mitarbeitenden und der zunehmende ökonomische Druck ­erschweren die Planung. Zudem gilt es, Engpässe und Überkapazitäten zu vermeiden. Im Folgenden stellen wir ein Modell zur Dienstplanoptimierung am Beispiel einer interdisziplinären Notfallstation und unsere Erfahrungen damit vor.
Die Dienstplanung ist ein zentraler Teil der adminis-
trativen Tätigkeiten in einer Klinik . Häufig gestaltet sie sich aufgrund unterschiedlicher Faktoren herausfordernd. Je nach Abteilungs- bzw. Teamgrösse wird das Planen komplexer: Gesetzliche Rahmenbedingungen, Anforderungen durch Gesamtarbeitsverträge, Mit­arbeiterbedürfnisse und nicht zuletzt individuelle ­Anforderungen des betreffenden Bereichs sind einflussnehmende Faktoren, welchen Rechnung getragen werden muss.

Optimale Planung ist essenziell

In Zeiten sich verknappender Ressourcen, zunehmend auch durch Personalmangel im Bereich Pflege und Ärzteschaft, ist eine optimale Einsatzplanung essen­ziell. Gerade in der Notfallmedizin ist es unerlässlich, Personalknappheit und dadurch entstehende Engpässe in der Versorgung der Patientinnen und Patienten zu vermeiden. Andererseits sollen ungenutzte ­Vorhalteleistungen und damit verbundene Leerläufe für das Personal möglichst gering gehalten werden. Konsultationszahlen können abhängig von Tageszeit und Wochentag, aber auch saisonal stark schwanken, was die optimale Planung der Schichten zusätzlich ­erschwert. Ein objektives Modell zur Errechnung der idealen Schichtstärke abhängig von Tageszeit und ­Wochentag anstelle eines starren Dienstplans wäre wünschenswert, steht aber in der heutigen Realität der Dienstplanung an schweizerischen Notfallzentren nicht zur Verfügung. Im Folgenden zeigen wir die ­Vorteile eines solchen Systems zur der optimierten Dienstplanung mit dem kostenlosen Add-In «Solver» für Microsoft Excel am Beispiel eines interdiszi­plinären Notfallzentrums. Eine Schritt-für-Schritt-­Anleitung ist zudem online auf Youtube verfügbar (https://t.ly/sdfz).
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Bessere Voraussage durch bessere Daten

Die Grundlage des Modells bilden möglichst umfassende und detaillierte historische Daten zu Konsultationszahlen der entsprechenden Klinik: Konkret werden Mittelwert, Standardabweichung und Maximum des Patientenaufkommens pro Wochentag benötigt. Zudem sollte eine Unterscheidung zwischen im Zeitraum neu angekommenen und sich während des Zeitraums bereits in Behandlung befindlichen Patientinnen und Patienten erfolgen. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel einer solchen Datengrundlage anhand des interdisziplinären Notfallzentrums des Bürgerspitals in Solothurn. Vorab individuell zu definieren ist, für welches Auslastungsniveau die Berechnung erfolgen soll: Im konkreten Beispiel wird der Mittelwert plus eine Standardabweichung, entsprechend der 84. Perzentile des Patientenaufkommens, angewandt, um eine Reservekapazität zur Vermeidung von Flaschenhälsen, Wahrung der Patientensicherheit und Zumutbarkeit für die Mitarbeitenden zu gewährleisten. Median und Maximalwert sind als Richtwerte für das Patientenaufkommen ungeeignet. Bei der Verwendung des Medians an 50% der Tage wird das Aufkommen höher sein, bei ­Verwendung des Maximalwerts droht ein ineffizienter Ressourceneinsatz.
Abbildung 1: Beispiel für Konsultationszahlen eines Jahres spezifiziert für den Wochentag und unterteilt in neu ankommende sowie Gesamtzahl an Patientinnen und Patienten, welche sich im Notfallzentrum in Behandlung befanden.

Terminologie und Set-up

Zur Erstellung des Modells werden im Vorfeld drei ­Klinik-spezifische Parameter definiert:
1 Zielwert (Objective): Ziel des Modells, hier «Minimum» oder «Maximum» der benötigten ärztlichen Arbeitsstunden pro Arbeitstag, um die definierten Nebenbedingungen (Constraints) zu erfüllen.
2 Entscheidungsvariablen (Decision Variables): Parameter mit Auswirkung auf den Zielwert. Im konkreten Beispiel ist das die Anzahl der benötigten Ärztinnen und Ärzte zu jeder Tageszeit. Der Zielwert stellt die Summe der Entscheidungsvaria-
blen dar.
3 Nebenbedingungen (Constraints): Die Nebenbedingungen sind die zu erfüllenden Konditionen: Wie viele Ärztinnen oder Ärzte müssen zu einer gewissen Zeit mindestens oder immer anwesend sein. Wie viele Patientinnen oder Patienten pro Stunde maximal neu angenommen bzw. wie viele Patientinnen oder Patienten maximal parallel durch eine Ärztin oder einen Arzt betreut werden können.
Am Beispiel des interdisziplinären Notfallzentrums am Bürgerspital Solothurn wurden die Nebenbedingungen wie folgt definiert (Abbildung 2):
Abbildung 2: Darstellung von Zielwert, Entscheidungsvariablen sowie Nebenbedingungen inklusive Konsultationen in Microsoft Excel.
– Minimum zwei Ärztinnen und Ärzte müssen zu jedem Zeitpunkt vor Ort sein.
– Maximal drei Patientinnen und Patienten können pro Stunde durch einen Arzt oder eine Ärztin behandelt werden.
– Maximal fünf Patientinnen und Patienten können parallel durch einen Arzt oder eine Ärztin betreut werden.
Nun können die historischen Konsultationszahlen, wie oben beschrieben, ergänzt werden (Abbildung 2). Als nächstes muss zwischen den individuellen Konditionen (Nebenbedingungen) und der Anzahl benötigter Ärztinnen und Ärzte im Tagesverlauf (Entscheidungsvariablen) ein Bezug hergestellt werden. Die minimale Anzahl an Ärztinnen und Ärzten ist von Tageszeit und Patientenaufkommen unabhängig und bleibt unverändert. Hinsichtlich maximaler Anzahl neuer Patientinnen und Patienten pro Stunde, im Beispiel definiert als drei, kann die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte durch die neu eingetroffenen Patientinnen und Patienten in jeder Stunde des Tages dividiert ­werden. Da der Wert von drei neuen Patientinnen und Patienten pro Ärztin und Arzt nicht überschritten ­werden darf, ist die Nebenbedingung als ³ 0.33 zu definieren (Abbildung 3). Hinsichtlich der Nebenbedingung «maximal fünf Patientinnen und Patienten parallel pro Ärztin und Arzt» ist das Vorgehen analog mit dem Unterschied, dass die Entscheidungsvariable je Stunde des Tages durch die Zahl der sich in Behandlung befindender Patientinnen und Patienten zu dividieren ist. Im Beispiel ist die Nebenbedingung somit als ³ 0.2 zu definieren (Abbildung 3).
Abbildung 3: Definition einer Nebenbedingung.

Konkrete Durchführung

Nach Ergänzung sämtlicher benötigter Parameter kann «Solver» unter dem Reiter «Daten» beim Punkt «Analysetools» zur Berechnung aktiviert werden. Hier müssen nun Zielwert, also die minimalen ärztlichen Arbeitsstunden pro Tag, festgelegt und Entscheidungsvariablen, also Anzahl benötigter Ärztinnen und Ärzte zu jeder Tageszeit, angewählt werden (Abbildung 4). Als nächstes sind die definierten Nebenbedingungen wie in Abbildung 5 dargestellt anzuwählen.
Abbildung 4: Auswahl des Zielwertes und der Entscheidungsvariablen im Solver Add-In.
Abbildung 5: Eingabe der Nebenbedingungen im Solver Add-In.
Nach Auswahl von «Simplex-LP» für ein lineares ­Modell der Lösungsmethode kann durch Klick auf ­«Lösen» die Berechnung erfolgen. In den entsprechenden Feldern werden nun Zielwert und Entscheidungsvariablen, also die zu jeder Stunde des Tages benötigte Anzahl der Ärztinnen und Ärzte angegeben (Abbildung 6). Idealerweise wird das Modell für jeden Wochentag individuell errechnet, damit ein bedarfsgerechter Dienstplan erstellt werden kann.
Abbildung 6: Ergebnis des Optimierungsmodells.

Vorteile und Limitationen des Modells

Zu den Vorteilen des vorgestellten Modells zählt die ­Individualisierbarkeit: Je nach Bedürfnissen der Klinik oder Abteilung und Anforderungen an den Schichtplan können die Nebenbedingungen mehr oder weniger umfangreich definiert werden. Einmal aufgesetzt kann das Modell jederzeit benutzt werden, um zu überprüfen, ob die aktuelle Schichtplanung noch mit den Konsultationszahlen vereinbar ist oder ob Anpassungen empfehlenswert wären. Das Modell ist für alle ­Berufsgruppen anwendbar, wo Nachfrage-abhängige Schichtplanung notwendig ist (Ärzteschaft, Pflege, ­Hotellerie, Raumpflege usw.).
Limitierend für das Modell ist wie immer die Datengrundlage: die verwendeten historischen Daten sollten möglichst repräsentativ für die aktuelle Situation sein, also nicht zu weit zurückliegen und keine ausserordentlichen Ereignisse in überrepräsentierter Stärke aufweisen. Ausserdem sollten sie über einen repräsentativen Zeitraum erhoben sein. Nach Errechnung des Bedarfs müssen auf Basis dessen die Schichten gemäss deren jeweiligen Längen definiert werden.

Erfahrungen unseres Notfallzentrums

Das interdisziplinäre Notfallzentrum am Bürgerspital Solothurn setzt sich aus einer Notfallstation und einer ambulanten Notfallpraxis zusammen, welche im Jahr 2021 gemeinsam rund 42 000 Konsultationen gezählt haben. Die Notfallpraxis wird mit Unterstützung von Hausärztinnen und Hausärzten aus der Region und ­einer Ärztin oder einem Arzt aus unserem Team in ­einem Zweischichtsystem betrieben und ist daher von der individualisierten Planung ausgenommen.
An der interdisziplinären Notfallstation erfolgt die ­optimierte Dienstplanung bei den Ärztinnen und Ärzten nun seit gut sechs bis zwölf Monaten anhand des beschriebenen Modells. Durch die Umstellung auf ­einen individualisierten wochentagbasierten Dienstplan konnte eine bedarfsgerechtere Ressourcenver­teilung mit weniger Schichten bei gleichbleibender Arbeitsbelastung erreicht werden. Ergänzend wurde für Tage mit durchschnittlich weniger Konsultationszahlen ein Pikettdienst geschaffen, damit unerwartete Spitzen problemlos bewältigt werden können. Durch die kontinuierliche Erfassung der Konsultationszahlen kann die objektive Berechnung der notwendigen Schichtstärke zu jeder Zeit eines Wochentags beliebig oft neu erfolgen und die Dienstplanung dem Bedarf angepasst werden. Excel Solver ist somit ein kostengünstiges, ubiquitär verfügbares Werkzeug, womit der Bedarf objektiviert und vorhandene Flaschenhälse aufgezeigt werden. Letztlich wird ein ideales individualisiertes Abstimmen von Vorhalteleistung und Nachfrage mit maximaler Patientensicherheit, Vermeidung von Overcrowding und Stressreduktion bei Mitarbeitenden im Schichtbetrieb ermöglicht.
Aufgrund der positiven Ergebnisse im ärztlichen Dienstbetrieb werden am Bürgerspital Solothurn ak­tuell Berechnungen für den Schichtbetrieb des Notfallpflegepersonals durchgeführt, um auch hier etwaiges Optimierungspotenzial identifizieren zu können.
lindner.gregor[at]gmail.com
1 Evans J. Business Analytics: Methods, Models, and Decisions. Boston: Pearson. (3rd Ed) 2019

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