Medizinstudium
Neue Normalität auch an der Universität: Nach Pandemieende setzt sich der Verband der Medizinstudierenden swimsa für das Beibehalten von Podcasts als Unterrichtsformat ein. Das Lehrformat biete den Studierenden mehr Flexibilität – und könnte zu einer Reform des Frontalunterrichts beitragen.
Seit der grossflächigen Einführung von Podcasts während der COVID-Pandemie wird an den medizinischen Fakultäten und in der Ausbildungskommission der swimsa immer wieder über deren Einsatz diskutiert. Oft wird vonseiten der Universitäten bemängelt, dass dieses Medium zu weniger Präsenz im Vorlesungssaal sowie schlechteren Prüfungsresultaten führe. Dabei muss aus unserer Sicht hervorgehoben werden, dass erstens die Ausprägung dieser Phänomene an Schweizer Medizinfakultäten nie systematisch erfasst und zweitens die Frage nach der Ursache bisher nicht geklärt wurde. Mit den zahlreichen Online-Ressourcen hat sich der Wissenserwerb deutlich verändert und Studierende beziehen ihr Wissen nicht mehr nur aus Vorlesungen. Aus unserer Sicht sollte das Ziel ein Nebeneinander von Präsenzunterricht und Podcasts sowie weiteren didaktischen Ressourcen sein, welche sich ergänzen und eine zukunftsfähige Ausbildung gewährleisten.
Ob der klassische Präsenzunterricht mit Frontalvorlesungen heute noch angebracht ist, muss unabhängig von der Anzahl der anwesenden Studierenden kritisch hinterfragt werden. Reines Faktenwissen ist heute auf mehreren Online-Plattformen gut aufgearbeitet abrufbar. Eine Vorlesung in Person kann – neben der Möglichkeit zur sozialen Interaktion – sehr wertvoll sein, wenn sie das erarbeitete Wissen in einen allgemeinen Kontext und in Beziehung zur Klinik setzt.
Flexibilität ermöglichen
Viele der Vorteile, welche Podcasts bieten, wurden bereits im Text erwähnt. Einen besonderen Fokus möchten wir auf den Aspekt der Flexibilität werfen. Der wählbare Zeitpunkt, eine Vorlesung abzurufen, ermöglicht es den Studierenden, trotz des zeitintensiven Studiums den Alltag freier zu gestalten. Studierende können einfacher einer entgeltlichen Arbeit nachgehen, wovon über 50% der Studierenden abhängig sind, wie eine Umfrage der Medizinstudierenden an der Universität Bern zeigt [1]. Dies kann finanzielle Unterschiede reduzieren und Personen aus verschiedenen Schichten das Medizinstudium ermöglichen. Flexibilität ermöglicht auch andere Engagements wie die Forschung während des Studiums hauptsächlich im Rahmen der Masterarbeit. Im Vergleich zu anderen Studiengängen ist die im Curriculum dafür vorgesehene Zeit sehr knapp bemessen.
Ressourcen teilen
Eine Umfrage der swimsa hat gezeigt, dass sich Medizinstudierende Vorlesungsaufzeichnungen und ihren zeitnahen Upload wünschen. Diese sollten jedoch nicht nur eine Aufnahme einer klassischen Vorlesung sein, sondern auf einem didaktisch durchdachten und adäquaten Konzept basieren. Ausserdem sollte ihre jährliche Wiederverwendung kritisch hinterfragt werden, wobei in erster Linie die Aktualität des Inhaltes gemäss den geltenden Richtlinien und den neuesten Erkenntnissen aus der Forschung sichergestellt werden muss. Podcasts könnten auch zwischen Universitäten geteilt werden, wodurch mehr Ressourcen zur Verfügung stehen würden, welche wiederum in die Qualität der Ausbildung investiert werden könnten.
Raum für neue Lernformate
Für uns stellt sich nicht die Frage, ob klassische Vorlesungen im Hörsaal oder Podcasts besser sind, sondern für welchen Zweck sich welche Methode am besten eignet, um in erster Linie eine optimale Wissensvermittlung, aber auch die oben genannten Aspekte sicherzustellen. Mit zunehmender Weiterentwicklung könnten Podcasts eine zentrale Rolle in der Wissensvermittlung übernehmen. In dieser kompakteren Form entstünde Raum für neue, interaktive Lernformate im Präsenzunterricht. Formate wie problemorientiertes Lernen oder Kleingruppenarbeit könnten einerseits das Gelernte in einen klinischen Kontext setzen, andererseits eine kritische Auseinandersetzung mit dem (teilweisen) Überfluss an online abrufbaren Informationen anregen. Zweierlei ist dabei zu bedenken: Fakultäten mit grossen Kohorten stellen diese Formate vor organisatorische Herausforderungen, und Dozierenden müssen auf diese Formate hin ausgebildet werden.
Ob Studierende aufgrund von Podcasts, mehr Online-Ressourcen, einer minderen didaktischen Qualität der Vorlesungen oder sonstigen Faktoren weniger Vorlesungen besuchen, lässt sich aus unserer Sicht ohne systematische Erfassung der Daten nicht abschliessend beantworten. Doch scheint es, als ob sich auch das Medizinstudium an die veränderten Rahmenbedingungen des Studierens anpassen muss.
Clara Ehrenzeller, swimsa
Luca Siragusa, swimsa
1 Kühn S, Kuhnen SC. Meinung der Studierenden des Master-Studienganges Humanmedizin an der Universität Bern zur Lohnsituation während des Blockpraktikums. 2023
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