Ein bewegtes Jahr geht zu Ende

Ein bewegtes Jahr geht zu Ende

Leitartikel
Ausgabe
2023/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.1282904944
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(46):28-29

Publiziert am 17.11.2023

Jahresrückblick
Das Jahr 2023 war geprägt von Weichenstellungen in punkto Digitalisierung der Ärztesschaft. Telemedizin, E-Rezept, elektronisches Patientendossier sowie das neue Datenschutzgesetz sind Themen, welche die FMH in diesem Jahr aus Sicht der Digitalisierung beschäftigt haben.
Es ist wieder diese Zeit des Jahres, in der wir mit Freude und Schrecken feststellen, dass die digitale Welt uns schneller einholt als unser morgendlicher Espresso den Schlafmangel bekämpfen kann. Entwicklungen im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz (KI) haben uns gelehrt, wie rasch sich digitale Technologien in unserer Gesellschaft verbreiten können. Auch wenn wir in diesem Fall immer noch von einem Hype sprechen, ist es lediglich eine Frage der Zeit, bis sich solche Technologien in unserem ärztlichen Berufsfeld durchsetzen werden [1]. Daher ist es für die Ärzteschaft wichtig, sich in diesem Bereich frühzeitig zu positionieren und nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch deren Grenzen aufzuzeigen. Die FMH hat sich deshalb mit einer Publikation von Forderungen für den Einsatz neuer Technologien im ärztlichen Umfeld positioniert [2].

Die FMH hat telemedizinische Konsultationen in der Standesordnung verankert.

Ein weiteres Beispiel, welches zunehmend zur Realität wird, ist die Entwicklung im Bereich der Telemedizin. Längst sind es nicht nur telemedizinische Konsultationen, die zu einem Bestandteil der ärztlichen Versorgung geworden sind. In Versorgungsmodellen wie hospital at home werden immer mehr vernetzte und intelligente Sensoren eingesetzt, die Informationen und Warnhinweise über den Zustand der Patienten automatisiert weiterleiten [3]. Digitale Technologien übernehmen daher essenzielle ärztliche und pflegerische Aufgaben. Dies erfordert nicht nur die Auseinandersetzung mit sozio-technischen Systemen, sondern auch eine eingehende Beachtung regulatorischer Anforderungen, darunter die vielfältigen Gesetze der einzelnen Kantone in Bezug auf die Zulassung zur ärztlichen Tätigkeit.

Änderung der Standesordnung

Die FMH hat dieses Jahr der Entwicklung im Bereich der Telemedizin Rechnung getragen und die Möglichkeit zur Durchführung von Telemedizin in ihrer Standesordnung verankert. Diese Veränderung erteilt der Ärzteschaft die Entscheidungsmöglichkeit, ob eine Beratung oder Behandlung über Informations- und Kommunikationstechnologien möglich ist oder ob eine Konsultation vor Ort durchgeführt werden muss. Nach der Annahme der Änderung der Standesordnung durch die Ärztekammer im Juni 2023 erarbeitet die FMH aktuell Empfehlungen, die sich insbesondere an Praxisärztinnen und -ärzten richten, welche Telemedizin anbieten möchten. Sie umfassen die Anwendungsfelder von Telemedizin, die zu beachtenden rechtlichen Grundlagen, Überlegungen zu Datensicherheit und Datenschutz, die erforderlichen Kompetenzen für (nicht-)ärztliches Gesundheitspersonal und zu deren tarifarischer Abgeltung.

eRezept

Thematisch nahe bei der Telemedizin liegt das E-Rezept. Hier engagiert sich die FMH zusammen mit pharmaSuisse für eine nationale rechtskonforme E-Rezeptlösung. Das E-Rezept wird durch alle Apotheken einlösbar sowie fälschungs- und missbrauchssicher sein [4].

Revidiertes Datenschutzgesetz (DSG)

Bewegt hat sicherlich viele meiner Kolleginnen und -kollegen das neue Datenschutzgesetz (DSG), das per 1. September 2023 in Kraft trat. Die Revision des Gesetzes war notwendig, um den technologischen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Als vor mehr als 20 Jahren das Schweizer Datenschutzgesetz geboren wurde, haben wir uns Weihnachtskarten noch persönlich geschrieben und die Krankengeschichte war entweder sorgfältig auf Papier konserviert oder in einem PC unter dem Schreibtisch gespeichert, der morgens ein und abends ausgeschaltet wurde.
Die Selbstbestimmung über die elektronisch erfassten Daten von Patientinnen und Patienten war ebenso wenig ein beachtenswertes Thema wie die Transparenz bei der Datenbearbeitung. Dies hat sich im Zeitalter von Cloud Computing schlagartig verändert. Die FMH hat vor dem Inkrafttreten des neuen Datenschutzgesetzes Hilfsmittel in Form von Leitfäden und Musterdokumenten erarbeitet und publiziert [5]. In den letzten Monaten haben wir dazu unzählige Fragen von Ärztinnen und -ärzten in Form von Anrufen oder E-Mails beantwortet. Auch wenn sich an den Grundsätzen für eine rechtmässige Datenbearbeitung seit dem 1. September 2023 nichts geändert hat, haben die Neuerungen zu einer Verunsicherung innerhalb der Ärzteschaft geführt. Dies veranlasst uns, die Hilfestellungen kontinuierlich zu verbessern und wichtige Fragen, die sich im Zusammenhang mit der laufenden Rechtspraxis ergeben, kontinuierlich in der Schweizerischen Ärztezeitungen zu publizieren.

Elektronisches Patientendossier

Auch wenn das elektronische Patientendossier (EPD) für viele noch in weiter Ferne liegt, werden nun mit der umfassenden Revision des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) die Weichen für die schweizweite Einführung gestellt, die in wenigen Jahren unseren beruflichen Alltag verändern wird [6]. Aufgrund der Tragweite hat uns die Revision in diesem Jahr in vielerlei Hinsicht bewegt und beschäftigt. Hierzu zählt die Übergangsfinanzierung, welche bereits ab 2024 in Kraft treten wird, selbstverständlich und insbesondere die Rahmenbedingungen für eine obligatorische Verpflichtung derjenigen Gesundheitsfachpersonen, die dem OKP unterstehen und weiter die Festlegung der Inhalte im Sinne von Austauschformaten des EPD.
Zwischen dem ersten und zweiten Teil der Revision lancierte das Bundesamt für Gesundheit dieses Jahr zudem eine nationale Sensibilisierungskampagne zur Begleitung der Einführung des EPD. Ziel sei es, das Wissen, die Einstellung und das Verhalten bei den Gesundheitsfachpersonen und der Bevölkerung gegenüber dem EPD zu fördern. Die Kampagne wird im Zeitraum von 2023 bis 2025 durchgeführt und startete im Juni 2023 für die Zielgruppe der Gesundheitsfachpersonen. Ab 2024 soll die Kampagne auf die breite Bevölkerung erweitert werden.

Bewegt hat viele meiner Kolleginnen und -kollegen das neue Datenschutzgesetz, das per 1. September 2023 in Kraft trat.

Die FMH richtet ihren Fokus auf die inhaltliche Weiterentwicklung des EPD [7]. Sie wird sich weiterhin positionieren und aktiv mitgestalten. Ein wichtiges Gefäss hierzu bildet die interprofessionelle Arbeitsgruppe eHealth (IPAG). Die IPAG vertritt mit zehn angeschlossenen Verbänden mehr als 100 000 Leistungserbringer im Gesundheitswesen [8]. Sie setzt sich für einen nutzenbringenden interprofessionellen Informationsaustausch ein.
Innerhalb der AD Swiss AG arbeitet die FMH zusammen mit den weiteren Aktionären an der Entwicklung von digitalen Dienstleistungen, welche die Behandlungsprozesse zu Gunsten der Patientensicherheit und der Qualität verbessern sollen. Gleichzeitig ermöglicht die FMH über die AD Swiss EPD Gemeinschaft freiwillig teilnehmenden und dazu verpflichteten Gesundheitsfachpersonen und Institutionen den einfachen und kosteneffizienten Anschluss an das EPD.

Wandel des ärztlichen Berufsbildes

In Anbetracht der technologischen Fortschritte drängt sich die Frage auf, wie sich die Rolle der Ärztinnen und Ärzte in Zeiten der Digitalisierung in Zukunft verändern wird. Die Auswirkungen sind bereits jetzt anhand der beeindruckenden Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz erkennbar. Da eine vollständige Ersetzung der ärztlichen Tätigkeiten durch intelligente Maschinen unrealistisch erscheint, stellt sich die Frage, welche Aufgaben im medizinischen Alltag von KI-Systemen übernommen werden könnten und wie sich dies auf das auf unser Berufsbild auswirken würde.

Die FMH richtet ihren Fokus auf die inhaltliche Weiterentwicklung des EPD und wird sich weiterhin positionieren und aktiv mitgestalten.

Darüber hinaus sind wir bereits heute mit Informationen und Wissen konfrontiert, die mithilfe von KI-Systemen generiert werden. Künftige Generationen von Medizinerinnen und Medizinern müssen in der Lage sein, diese Informationen kritisch zu hinterfragen und die zugrunde liegenden Berechnungsmethoden zumindest teilweise zu verstehen. Wie die dazu notwendigen Kompetenzen zu erreichen sind, war ein zentrales Thema unseres Projektes Digital Skills, das uns auch über das aktuelle Jahr hinaus weiter beschäftigen wird.
Dr. med. Alexander Zimmer Mitglied des Zentralvorstandes und Departementsverantwortlicher Digitalisierung / eHealth
1 Gutmann R, Rippstein J. Ein Helfer für alles? Schweiz Ärzteztg. 2023;104(33):12-15
2 Sojer R, Pfeiffer V. Forderungen der FMH an die künstliche Intelligenz in der Medizin. Schweiz Ärzteztg. 2022;103(38):30-35
3 Denecke K, May R, Borycki EM, Kushniruk AW. Digital health as an enabler for hospital@home: A rising trend or just a vision? Front Public Health. 2023 Feb 17;11:1137798.
4 Zimmer A, Schaefer U. Schweiz Ärzteztg. Das E-Rezept – ein Projekt von FMH und pharmaSuisse. 2022;103(48):34-35
5 Baeriswyl B, Sojer R. Datenschutzgesetz: Anpassungen in Arztpraxen. Schweiz Ärzteztg. 2022;103(5152):32-33
6 Zimmer A. Das EPD 2.0 – Was ist drin und was sollte noch rein? Schweiz Ärzteztg. 2023;104(34):20-21
7 Zimmer A. Werbekampagne zum falschen Zeitpunkt. Schweiz Ärzteztg. 2023;104(22):26-27
8 Zimmer A. IPAG eHealth: Zusammenschluss von 100 000 Leistungserbringern. Schweiz Ärzteztg. 2022;103(05):131

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