a Geschäftsführer fmc, Mitglied Vorstand medswiss.net bis 2020; b Dr. med., Mitglied Vorstand medswiss.net, Ressortleiter Qualitätsradar; c Dr. med., Mitglied Vorstand medswiss.net
Gesundheitspolitik Die Qualität der medizinischen Versorgung in der Schweiz soll verbessert werden. Gleichzeitig werden politische Massnahmen zur Kostendämpfung umgesetzt. Seitens der Leistungserbringer und Krankenversicherer gibt es jedoch alternative Lösungsansätze, die nachweislich zu einer höheren Versorgungsqualität und tieferen Kosten führen.
Kosten und Qualität. Immer wiederkehrender Dreh- und Angelpunkt der Diskussionen im Schweizer Gesundheitswesen. Lautstark wird politisch gefordert, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern. Kritisiert wird vor allem die mangelnde Transparenz über die Qualität [1]. Um die Kostenentwicklung in den Griff zu bekommen, ist ein schieres Wettbieten von unterschiedlichen parlamentarischen Initiativen und bundesrätlichen Vorschlägen wie das Massnahmenpaket 2 sowie das Qualitätsgesetz (revidierter Artikel 58 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung KVG) entstanden, aktuell ergänzt durch die Annahme des indirekten Gegenvorschlages zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei. Bei diesen Diskussionen werden die vielfältigen Bemühungen und beeindruckenden Ergebnisse der Leistungserbringer und Krankenversicherer leider in der Regel wenig beachtet.
Ärztenetze und Krankenversicherer haben in den letzten Jahren durch ihre partnerschaftliche Zusammenarbeit sehr viel bewegt und sind ein Vorzeigemodell für die enorme Leistungsfähigkeit einer funktionierenden Vertragspartnerschaft. Qualitätstransparenz, kontinuierliche Qualitätsentwicklung und eine nachweislich effiziente Patientenbehandlung werden seit nunmehr einem Vierteljahrhundert durch diese lebendige Partnerschaft ermöglicht. Verschiedene Krankenversicherer haben beachtliche Investitionen getätigt, um die Versorgungstrukturen der Ärztenetze zu evaluieren. Dadurch ist heute eine solide Beurteilung der Versorgungsstrukturen und -prozesse möglich. Beispielsweise werden in einem jährlichen Reporting der CSS von den Ärztenetzen rund 300 Struktur- und Qualitätsindikatoren erhoben mit dem Fazit, dass «die Managed-Care-Bewegung eine wichtige Quelle neuer Versorgungsansätze und Qualitätsbemühungen war und ist» [2].
Die Kritik und Zweifel seitens Politik und Öffentlichkeit werden von den Ärztenetzen ernst genommen, und es lohnt sich, die Leistungen dieser detailliert zu betrachten, um sie zu beurteilen. medswiss.net, Dachverband der Schweizer Ärztenetze, hat 2020 und 2021 eine Umfrage unter seinen 51 Mitgliedern zu den klassischen Qualitätsleistungen durchgeführt, an der sich 27 respektive 28 Netze beteiligt haben [3]. Zusätzlich wurde eine Literaturanalyse zur medizinischen und ökonomischen Evidenz der Ärztenetze durchgeführt. Im Folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse dargelegt.
In den letzten 25 Jahren wurden Strukturen aufgebaut, die nachweislich zu einer höheren Versorgungsqualität und zu tieferen Kosten geführt haben.
Qualitätszirkel (QZ) dienen der kontinuierlichen Weiterbildung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Der grosse Nutzen der QZ liegt in der kritischen Überprüfung der eigenen Tätigkeit und einem auf den Erfahrungen der Teilnehmenden aufbauenden Lernprozess, idealerweise entlang eines «Plan-Do-Check-Act»-Zyklus (PDCA-Zyklus). Diese werden einerseits durch die Netzärzte untereinander sowie andererseits auch ergänzend durch beigezogene externe Fachexperten erarbeitet. In den Ärztenetzen sind die Qualitätszirkel ein zentraler Bestandteil der Netzstrukturen. Alle 27 beziehungsweise 28 Ärztenetze führen regelmässig ärztliche Qualitätszirkel und 22 beziehungsweise 20 zusätzliche QZ für Medizinische Praxisassistenten und -assistentinnen (MPA) durch. Im Durchschnitt bietet jedes Ärztenetz an 5 Standorten QZ an, welche 11- respektive 9-mal im Jahr mit einer Dauer von knapp 2 Stunden durchgeführt werden. Hierdurch entsteht ein Angebot von insgesamt 3249 respektive 2715 Weiterbildungsstunden für die in Ärztenetzen organisierten Ärztinnen und Ärzte sowie MPA. Ein Netzarzt nimmt durchschnittlich an 15 beziehungsweise 11 Qualitätszirkelstunden im Jahr teil (Tabelle 1).
Tabelle 1: Strukturen der Qualitätszirkel in den Ärztenetzen
2019
2020
n: 27
n: 28
Ärzte
Durchschnitt
Median
Anzahl QZ-Standorte im Netz
5,3
5,2
Durchschnittliche Teilnehmeranzahl
11,5
13,9
Qualitätszirkelsitzungen pro Jahr
11,1
9,0
Sitzungsdauer (in Stunden)
1,7
1,6
Durchschnittliche Teilnahme pro Jahr
8,7
6,6
Angebotene QZ-Stunden
2735
2314
Besuchte QZ-Stunden total
22 388
22 142
MPA
n: 22
n: 20
Anzahl QZ-Standorte im Netz
3,2
3,6
Durchschnittliche Teilnehmeranzahl
14,3
14,5
Qualitätszirkelsitzungen pro Jahr
4,9
3,6
Sitzungsdauer (in Stunden)
1,5
1,5
Angebotene QZ-Stunden
514
401
Besuchte QZ-Stunden total
2394
1535
Behandlungsleitlinien als Unterstützung
Behandlungsleitlinien unterstützen die Ärzte bei der Entscheidungsfindung und Therapieplanung. Die positive Wirkung auf Behandlungsprozesse und -ergebnisse sowie auf die Behandlungsqualität wurde durch Studien mehrfach belegt. In Ärztenetzen stellt die Arbeit mit Behandlungsleitlinien eine der grundlegenden Qualitätsmassnahmen dar; in 22 beziehungsweise 20 Ärztenetzen wurden hierfür entsprechende Strukturen geschaffen. In 13 beziehungsweise 12 Netzen werden sowohl externe wie auch interne Guidelines in den Qualitätszirkel vorgestellt, diskutiert und an die regionalen Gegebenheiten adaptiert. 7 Netze legen ihren Diskussionen nur externe Guidelines zu Grunde. Zwei beziehungsweise ein Netz bearbeiten ausschliesslich interne Behandlungsleitlinien.
Die Veröffentlichung der Guidelines ermöglicht nicht nur die mehrfache Nutzung der erarbeiteten Orientierungshilfen, sondern schafft vor allem Transparenz. Als positive Beispiele können hier die Ärztenetze mednetbern [4] sowie das mediX Netzwerk [5] hervorgehoben werden.
Chronic Care Management
Das Management der chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Hypertonie oder Asthma ist eine der grossen Herausforderungen für die medizinische Versorgung. Ein strukturiertes Behandlungsmanagement bildet die Grundlage für eine optimale Behandlung und Betreuung der Chroniker. Im Behandlungsmanagement sind die Versorgungsmassnahmen definiert und es wird festgelegt, wer diese zu welchem Zeitpunkt durchführt. Dies ermöglicht eine kontinuierliche und strukturierte Patientenversorgung.
In 23 der 27 respektive 16 der 28 Ärztenetze wird mittlerweile ein strukturiertes Chronic Care Management durchgeführt, welches bei allen ein Angebot für Diabetes-Patienten umfasst. Drei Netze bieten darüber hinaus ein Programm für Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) sowie für Patienten mit Herzerkrankungen an. 14 der 23 beziehungsweise 12 der 16 Netze konnten eine Angabe zur Anzahl der betreuten Patienten machen und meldeten mehr als 6000 beziehungsweise 7500 strukturiert behandelte Patienten.
Diese positive Entwicklung wird sich in Zukunft fortsetzen, auch unterstützt durch digitale Anwendungen. Als förderliche Beispiele lassen sich die Software-gestützte Betreuung der Diabetes-Patienten der Argomed [7] und das in der Managed-Care-Software BlueEvidence integrierte Datenerfassungstool BlueCCM [8] aufführen.
Die Umfrage bestätigt eindrücklich die Aussage des CSS-Reportings. Ärztenetze sind eine wichtige Quelle für neue Versorgungsansätze und Qualitätsbemühungen. Dem persönlichen Engagement der medizinischen Leiter und der QZ-Moderatoren ist es zu verdanken, dass unter den Mitgliedern eine besondere Motivation entsteht, die Qualität der Versorgung kontinuierlich zu verbessern.
Positive Auswirkungen
Diese Bemühungen führen nachweislich zu einer besseren Versorgung und zu tieferen Kosten [9]. Medizinische Evidenz der Qualitätsbemühungen der Ärztenetze:
Patienten in einem Managed-Care-Versicherungsmodell erhalten weniger Antidepressiva. Unter anderem wird dies auf die koordinierte Patientenbehandlung zwischen Hausarzt und Psychiater zurückgeführt.
Die Einhaltung der Medikamentenempfehlung zu den Lipidsenkern (LDL) und ACE-Hemmern nach einem Myokardinfarkt ist bei Versicherten in einem Managed-Care-Modell signifikant höher.
Managed-Care-Versicherte weisen eine geringere Wahrscheinlichkeit einer Verschreibung potenziell inadäquater Medikation oder der wiederholten Verschreibung von Benzodiazepinen auf.
Managed-Care-Patienten hatten vor einer Koronarangiografie häufiger vorgängig eine medizinisch empfohlene nichtinvasive kardiale Ischämietestung als Standardversicherte.
Patienten in einem integrierten Versorgungmodell weisen eine signifikant tiefere diagnosebezogene Hospitalisationsrate bei Diabetespatienten und solchen mit kardiovaskulären Erkrankungen im Vergleich zu Versicherten im Standardmodell auf.
Durch das qualitativ hochwertige und effiziente Versorgungsmanagement in den Ärztenetzen werden ausserdem nach mathematischer Methodik Einsparungen von 10% bis 40% berechnet. Dank der mittlerweile umfassend vorhandenen Datengrundlagen kann auch die Nachhaltigkeit dieser Einsparungen belegt werden. Lukas Kauer [9] konnte nachweisen, dass Ärztenetzpatienten über 10 Jahre hinweg tiefere Behandlungskosten verursacht haben und kommt zu dem Schluss, «dass das stetige Kostenwachstum der vergangenen Jahre ohne Managed Care wesentlich stärker ausgefallen wäre. Managed Care ist damit zweifelslos ein wichtiger Bestandteil wirksamer, kostenbremsender Massnahmen».
Weitere Massnahmen erforderlich
Die Entwicklung und die Leistung der Ärztenetze in der Schweiz sind bemerkenswert, dies zeigte sich auch unter den erschwerten Umständen in der Pandemie. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit wurden in den letzten 25 Jahren Strukturen aufgebaut, die nachweislich zu einer höheren Versorgungsqualität und zu tieferen Kosten geführt haben. Diese Strukturen gilt es zu fördern, anstatt unreflektiert Ratschläge von Experten aus anderen Gesundheitssystemen umzusetzen [10].
Eine der wichtigen politischen Aufgaben zur Förderung der Qualität und Reduzierung der Kosten ist die Einführung der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS). Durch EFAS können Einsparungen von vermiedenen Hospitalisationen zu 100% an die Versicherten weitergegeben werden. Dies macht die integrierte Versorgung und die Ärztenetze attraktiver und wird ihnen einen Schub verleihen. Es werden noch mehr Versicherte ein entsprechendes Versicherungsprodukt abschliessen. Alleine mit dieser Massnahme werden die Netze mehr für die Qualitätsentwicklung sowie Kostensenkung und somit für die Patienten erreichen, als die zur Umsetzung anstehenden Qualitätsverträge oder die aktuell zur Diskussion stehenden Massnahmen des Kostensenkungspakets 2.
medswiss.net
medswiss.net ist der Dachverband der Schweizer Ärztenetze und setzt sich im Rahmen der hausärztlich koordinierten Versorgung für die politischen Interessen seiner Ärztenetze und deren angegliederten Ärztinnen und Ärzte ein. Der Verband vertritt rund 3500 Grundversorger. medswiss.net ist bestrebt, nationale optimale politische & wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, welche den Ärztenetzen eine qualitativ hochstehende hausärztliche koordinierte Medizin ermöglichen. Im Zentrum des Interesses der Medizin steht die Gesundheit und die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten. Mehr dazu unter www.medswissnet.ch
3 Die Ergebnisse 2020 aus dem Erhebungsjahr 2021 müssen unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie beurteilt werden. Die Qualitätsbemühungen, allen voran die physische QZ-Durchführung wurden durch die Kontaktbeschränkungen und das Versammlungsverbot erschwert. Viele Koordinationssitzungen und QZs konnten virtuell stattfinden, einige konnten aber pandemiebedingt nicht durchgeführt werden. Hinzu kommt die allgemeine Sonderbelastung des Gesundheitswesens durch die Pandemie.