Tagung Immer mehr Jugendliche leiden an psychischen Erkrankungen. Die Zahl der Hospitalisationen steigt. Woran das liegt und was nun getan werden muss – darüber diskutierten Psychiaterinnen und Psychiater mit Vertretern aus Politik und Organisationen in Bern.
Wir haben 45% mehr Beratungsvolumen seit Corona. Die Pandemie mag vorbei sein, aber die Krise ist es nicht»: Katja Schönenberger, Direktorin von Pro Juventute, fand klare Worte an der Tagung zum Thema «Zunahme psychischer Probleme bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen» in Wabern bei Bern Ende Mai. Mit der 147 bietet die Organisation eine Erstanlaufstelle für junge Menschen in Krisensituationen. Die Tagung, die von Public Health Schweiz gemeinsam mit weiteren Organisationen und Jugendverbänden organisiert wurde, widmete sich den Fragen: Wieso sind Jugendliche so stark belastet und welche Lösungen gibt es?
Unter Druck, gestresst, ohne Zuversicht: Junge Menschen haben zunehmend psychische Probleme.
Fakt ist: Viele Kinder und Jugendliche – vor allem Mädchen und junge Frauen – berichten von Symptomen psychischer Erkrankungen. Das zeigt auch der jüngste Bericht des Gesundheitsobservatoriums Obsan [1]. Demnach berichten 25% der 15- bis 24-Jährigen Frauen von mittelschweren bis schweren Angstsymptomen, etwa 30% von Depressionssymptomen, rund 29% von Symptomen einer sozialen Phobie. Rund 14% der jungen Frauen haben laut dem Bericht in den vergangenen zwölf Monaten erwogen, sich das Leben zu nehmen. Prof. Dr. med. Kerstin von Plessen, Psychiaterin am CHUV in Lausanne, bestätigte an der Tagung: «Wir haben immer mehr Hospitalisationen junger Menschen. Besonders die Mädchen brauchen mehr Hilfe.»
Aufwachsen in der Multikrise
Der Grund? An der Tagung wurde auf die Multikrise verwiesen, in der Jugendliche heute aufwachsen. Dazu gehören die Klimakrise, die Pandemie, eine Polarisierung der Gesellschaft – «und das alles verstärkt und verzerrt durch Social Media. Die Zuversicht junger Menschen leidet», wie Dr. med. Daniel Frey, Pädiater und Vorstandsmitglied von Public Health Schweiz, sagte.
Laut Dr. med. Dagmar Pauli, Chefärztin sowie stellvertretende Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, liegt eine Ursache der psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen auch im Schulstress. Im besten Fall sollte die Schule ein Ort sein, in dem Jugendliche aufgefangen und unterstützt werden, aber: «Die Schule ist auch Teil des Problems.»
Was also tun? In «Ateliers» zu Themen wie Erste Hilfe bei psychischen Problemen von Kindern und Jugendlichen, Suizidprävention oder Umgang mit Social Media betrachteten die teilnehmenden Psychiaterinnen und Psychiater nicht nur die Probleme, sondern diskutierten auch über Lösungen – und kamen am Ende des Tags zusammen, um die Einschätzungen von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Organisationen zu hören.
Dort sagte Marc Rüdisüli, Präsident von «Die Junge Mitte»: «In Prävention zu investieren ist das A und O.» Fabien Fivaz, Nationalrat Grüne, pflichtete ihm bei und ergänzte in Bezug auf die steigenden Gesundheitskosten: «Prävention ist die einzige Möglichkeit, der Kostensteigerung vorzubeugen.» Das Problem daran: Auch vorbeugende Massnahmen kosten erst einmal Geld und die Mittel dafür sind im derzeitigen System zu wenig vorgesehen – so die einhellige Meinung der Diskutierenden. «Ich sehe Bund und Kantone in der Pflicht», sagte Pro-Juventute-Direktorin Katja Schönenberger und forderte, die Erstanlaufstellen zu stärken. Wie auch immer das erreicht werden kann, Marc Rüdisüli verwies darauf, dass Präventionsmassnahmen zwar keine sofortige Wirkung zeigen können, denn: «die Wirkung sieht man oft erst nach zehn oder mehr Jahren». Dennoch: «Es lohnt sich auch volkswirtschaftlich, junge Menschen zu unterstützen.» Und Fabien Fivaz forderte ein gesellschaftliches Umdenken, um mehr Prävention möglich zu machen: «Wir alle haben ständig das Prinzip des kurzfristigen Return on Invest im Sinn. Diesbezüglich müssen wir dringend über die Bücher.»
Tagung über psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Die Tagung «Zunahme psychischer Probleme bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen – eine Tagung mit jungen Menschen zu Ursachen und Lösungsansätzen» wurde organisiert von Public Health Schweiz, der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände, UNICEF Schweiz und Liechtenstein, dem Verband CIAO und der Stiftung Pro Juventute. Beteiligt waren zudem Jugendverbände aus der Schweiz.