Mehr Zeit für die wirklichen Aufgaben

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21940
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(34):70-71

Publiziert am 23.08.2023

Digitale Transformation Manuelle, papierbasierte Prozesse sind zeitintensiv und überlasten die Ressourcen - ferner führen sie zu Informationsvorbehalt, welcher in Arztpraxen und Spitälern unter Umständen zu riskanten Situationen führen kann. Effiziente digitale Lösungen sind gefragt und bringen auf allen Ebenen einen Mehrwert.
In der Praxis lähmen Datenschutz sowie bürokratische, aber auch technische Hürden die Realisierung der Digitalisierung. Laut den Daten vom Swiss eHealth Forum 2022 hinkt das Schweizer Gesundheitswesen im internationalen Vergleich hinterher. Dass noch nicht alle niedergelassenen Arztpraxen digitalisierte Systeme einsetzen, könnte am hiesigen Altersgefüge liegen: Im Praxissektor sind die Ärztinnen und Ärzte durchschnittlich zehn Jahre älter als ihr Kollegium im Spitalsektor (54,6 Jahre gegenüber 44,3 Jahren) [1]. Die Personendaten, die in Arztpraxen bearbeitet werden, gehören zur Kategorie der besonders schützenswerten Daten: Der Gesundheitszustand ist äusserst vertraulich, und damit muss entsprechend verantwortungsbewusst umgegangen werden.

Gefährlicher Informationsvorbehalt

In einem digitalisierten Gesundheitswesen hat die Patientin und der Patient direkt Zugriff auf seine Patientendaten, Röntgenaufnahmen oder Überweisungsschreiben, Rezepte und Medikamentenlisten. Vor allem letztere können bei einem unvorhergesehenen Besuch in der Notfallstation sehr hilfreich sein – besonders für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Denn aus Medikamentenlisten lassen sich oft schon Aufschluss über diverse chronische Krankheiten herleiten, welche wichtig für die weitere Behandlung sind. Gestresste oder gar unbewusste Notfallpatientinnen und Notfallpatienten wissen oft nicht mehr genau ihre medizinische Vorgeschichte widerzugeben. Ärzte müssen dann noch immer mühselig die Informationen ausfindig machen, um etwaige Kontraindikationen oder Wechselwirkungen von Medikamenten nicht zu verpassen. Auch bei polymorbiden Patientinnen und Patienten, bei denen die Medikamentenliste stets angepasst wird, sind behandelnde Ärztinnen und Ärzte auf die Aktualität dieser Listen angewiesen. Schlimmstenfalls kommen Patientinnen und Patienten mit ihrer Medikamenten-Dosierbox, welche die täglichen Tabletten beinhaltet – die meisten Tabletten sind weiss oder rosa gefärbt und für den Arzt oder die Ärztin unmöglich zu erkennen, um welchen Wirkstoff es sich dann eigentlich handelt. Das Sammeln dieser Informationen, sei es die Krankengeschichte oder bereits stattgefundene Computertomografie-Bilder, benötigt viel Zeit. Die Digitalisierung in den niedergelassenen Arztpraxen hat somit auch Vorteile auf der Spitalseite.
Investitionen in die Digitalisierung können langfristig Vorteile erzeugen.
© Pop Nukoonrat / Dreamstime

Effizienzsteigerung im Praxisbetrieb

Es existieren diverse IT-Software-Anbieter für niedergelassene Arztpraxen. Vanessa Federer betreibt ihre eigene Beratungsfirma für Arztpraxen und kennt die Tücken und Hürden der Digitalisierung. Sei es bei der Neugründung einer Praxis, bei Fusionen oder bei bereits bestehenden Arztpraxen. Sie bespricht Wünsche und Anforderungen mit den Ärztinnen und Ärzten und vermittelt anschliessend zwischen Arztpraxis und IT-Anbieter. Die IT-Firmen präsentieren ihre digitalen Lösungen, welche auf die Bedürfnisse der Ärztin und des Arztes abgestimmt werden. Für Federer ist klar: «Wichtig für die Wahl des Praxisinformationssystems ist eine sorgfältige Bedürfnisanalyse zu erstellen, damit im engen Austausch mit den Kunden die individuell beste Lösung gefunden werden kann (Cloud-, Server-Lösung, Schnittstellen, Support, weitere Tools wie z. B. Onlineterminkalender etc.). Dies beinhalten auch die kritische Prüfung und der Vergleich der Angebote/Offerten der unterschiedlichen Anbieter. Ein grosser Gewinn mit dem geringsten Aufwand sieht Federer in der Umstellung der elektronischen Befundübermittlung. Dadurch werden Kosten gespart und es bleibt mehr Zeit für die Patienten.»

Digitalisierung bringt hohes Sparpotenzial

Wie schnell eine Arztpraxis auf digital umsteigt, entscheidet nicht zuletzt die Patientin und der Patient: «Die Akzeptanz der Patientinnen und Patienten wird eine grosse Rolle spielen, ob Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Sektor früher oder später mit einem elektronischen Patientendossier arbeiten und generell auf digitale Prozesse umsteigen», erklärt Andreas Zürcher, Head of Healthcare Professionals bei Swisscom Health. «Die Digitalisierung steigert auch den Wert einer Praxis und damit auch die Chance, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden». Auch Adrian Limacher, Leiter Business Development von vitodata, beschäftigt sich täglich mit dem Thema Digitalisierung und weiss: «Es kann nicht genau beziffert werden, ab wieviel Umsatz sich eine Digitalisierung lohnt. Dies ist immer vom Einzelfall abhängig und setzt oft Prozessanpassungen voraus. Anpassungen im Bereich Datenschutz und Datensicherheit, die Anschaffung von peripheren Geräten, Scanner und Schnittstellen zu medizinischen Gerätschaften und Drittapplikationen sind oft Zusatzanschaffungen. Hinzu kommt die Wahl, ob man die Software kaufen oder mieten möchte, ob mit Cloud- oder lokalen Systemen gearbeitet werden soll. Dass man von digitalen Systemen abhängig ist und bei einem Totalausfall nichts mehr geht, bestätigt Limacher, er betont jedoch, dass dies äussert selten vorkommt. Ein cleveres Datensicherungskonzept, eine Überbrückung zum Mobilfunkstandard 4G/5G sowie die Synchronisation der Agenda sind ratsame Vorkehrungen, damit es nicht zu einem Systemausfall kommt.

Einige Tipps zur digitalen Umsetzung:

Nicht alles einscannen, beispielsweise die letzten vier relevanten Berichte plus Diagnosen, Dauermedikamente etc. und den Rest der Krankengeschichte in Papierform lagern.
Nicht auf einen Zeitpunkt hinschaffen, sondern ab einem bestimmten Zeitpunkt nur die neuen Patienten-KG‘s digital erfassen. In einem zweiten Schritt, wenn die Prozesse eingeschliffen sind, dann auch die bestehenden Patientenakten digitalisieren.
Online Anmeldetools und Self-Check-In Lösungen mittels Tablets einsetzen.
Für einfache Termine wie Jahreskontrollen, regelmässige Kontrollen bei Diabetikern und Fahreignungsabklärungen soll man das Recallwesen nutzen.

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