Lebensqualität und Prävention stehen im Zentrum

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21957
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(36):72-73

Publiziert am 06.09.2023

Demenz Sofort erscheinen in uns Bilder, oft verbunden mit persönlichen Erfahrungen. Demenz ist eine grosse menschliche Herausforderung für die Betroffenen, ihr Umfeld aber auch die gesamte Gesellschaft. Gerade weil keine Heilung möglich ist, rückt die Frage der Lebensqualität von Menschen mit Demenz und die Prävention mit ins Zentrum.
Die Zahlen sind besorgniserregend. In der Schweiz leben gegenwärtig rund 150 000 Menschen mit Demenz. Jährlich kommt es zu 32 200 Neuerkrankungen. Demenz verursacht heute jährlich Kosten in Höhe von rund 11,8 Milliarden Franken. Tendenz dieser Zahlen ist aufgrund der demografischen Entwicklung steigend [1]. Einziger Lichtblick aus epidemiologischer Sicht ist der Rückgang der altersspezifischen Inzidenz, welche in verschiedenen Ländern beobachtet werden kann [2].
Die primären Demenzformen sind bisher leider nicht heilbar. In dieser Situation kommt dem Erhalt einer möglichst guten Lebensqualität und den präventiven Bemühungen eine zentrale Rolle zu. Doch was beinhaltet die Lebensqualität bei Demenz und welche Möglichkeiten hat man hier zur Verfügung neben den pharmakologischen, nicht kurativen Behandlungen?
Lebensqualität ist nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertsystemen, in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen [3]. Wichtig ist daraus die Erkenntnis, dass es keine allgemeingültige Lebensqualität gibt. Vielmehr gibt es verschiedene Aspekte, welche die jeweilige Lebensqualität prägen und ausmachen [4]. So sind denn auch gemäss den medizin-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) die «Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz» [5, 6] die folgenden sozialen und gesundheitlichen Lebensbedingungen zentrale Voraussetzung für eine gute Lebensqualität von Menschen mit Demenz:
körperliche Gesundheit
Unabhängigkeit
soziale Teilhabe
sinngebende Alltagsgestaltung
Erfahren von Respekt und Wertschätzung
Möglichkeit zum Ausüben von Alltagsaktivitäten
gute Wohnbedingungen
Dabei ändern die Bedürfnisse im Verlauf der Demenzerkrankung. So stehen in der frühen Phase die Auseinandersetzung mit der Krankheit und die gezielte Unterstützung bei der selbständigen Lebensführung im Vordergrund. Im weiteren Verlauf wird die Unterstützung im täglichen Leben immer wichtiger. Bei schwerer Demenz wird beispielsweise die Teilhabe an pflegerischen Handlungen immer bedeutender, weil dadurch nicht nur die Funktionalität, sondern auch die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden [5].
Aufgrund der abnehmenden Fähigkeit zur selbständigen Gestaltung des eigenen Lebens kommt der Betreuungs- und Behandlungsqualität eine entscheidende Rolle zu. Hier hat erfreulicherweise gerade auch bei den nichtmedikamentösen Therapien in den letzten Jahrzehnten eine breite Entwicklung hin zu einem ganzheitlichen Betreuungsangebot stattgefunden. So sind heute medizinische Therapien wie Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie oder Neuropsychologie, aber auch nichtmedizinische Leistungen wie zum Beispiel die Musiktherapie wichtige, mögliche Bestandteile einer ganzheitlichen Patientenbetreuung geworden. Auch zeigen Studien zum gezielten Erlernen und Trainieren von kognitiven Strategien günstige Effekte [7].
Die Lebensqualität kann demnach bei einem an Demenz erkrankten Menschen gezielt verbessert werden. Wie steht es aber bei Thema Demenz mit der Prävention? Häufig herrscht hier in der Bevölkerung noch immer das falsche Bild vor, dass keine präventiven Möglichkeiten bestehen. Dies stimmt nicht. Heute sind rund ein Dutzend Risikofaktoren für eine Demenzentwicklung bekannt. Dazu gehören eine geringere Bildung, Bluthochdruck, Hörminderung, Rauchen, Adipositas, Depression, Bewegungsmangel, Diabetes und eingeschränkte soziale Kontakte. Neuere Belege weissen darauf hin, dass übermässiger Alkoholkonsum, Schädel-Hirn-Trauma und Luftverschmutzung mit zu den Risikofaktoren zählen [2].
Diese Risikofaktoren dürften für etwa 40% der Demenzerkrankungen verantwortlich sein und können demnach mit präventiven Massnahmen verhindert oder verzögert werden. Mit Blick auf die verschiedenen Risikofaktoren wird klar, dass sich auch hier eine lebenslange Prävention lohnt.
Mit Prävention kann ein wesentlicher Beitrag zur Eindämmung der Kosten bedingt durch die Zunahme von Demenzerkrankungen geleistet werden, was sich schon heute im Rückgang der altersspezifischen Inzidenz der Demenz zeigt. Diese erheblichen Kosten fallen nicht nur im Gesundheitswesen, sondern in grossem Umfang auch im Sozialbereich bei betreuenden Angehörigen, in Gemeinden und Kantonen und bei der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) an [8].

Fazit

Die Frage rund um die Lebensqualität bei Menschen mit Demenz und die Möglichkeiten der Prävention werden immer noch unterschätzt. Es lohnt sich deshalb schon früh, in der ärztlichen Beratung auch den Nutzen eines gesunden, aktiven Lebensstils zur Demenzprävention hervorzuheben. Patientinnen und Patienten jeden Alters, die rauchen, schlecht hören, sich wenig bewegen, an Bluthochdruck oder Übergewicht leiden, sollten spezifisch auf das erhöhte Risiko für eine Demenz in der ärztlichen Praxis hingewiesen werden. Für Prävention ist es nie zu früh oder zu spät.

Für Sie zusammengefasst von der:

Nationalen Demenzkonferenz 2023 | 11.05.2023
Kongresszentrum Kreuz in Bern
Dr. med. Thomas Steffen
Facharzt für Prävention und Public Health. Präsident von Public Health Schweiz und Stiftung Patientensicherheit Schweiz.
thomas.steffen[at]public-health.ch
1 Alzheimer Schweiz. Demenz in der Schweiz 2022 Zahlen und Fakten. Stand 2022. https://www.alzheimer-schweiz.ch/fileadmin/dam/Alzheimer_Schweiz/Dokumente/Publikationen-Produkte/Factsheet_DemenzCH_2022.pdf (abgerufen am 06.06.2023).
2 Livingston G, Huntley J, Sommerlad A, Ames D, et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet. 2020;396:413–46.
3 WHOQOL Group. Study protocol for the World Health Organization project to develop a Quality of Life assessment instrument. Oxford: Qual Life Res. 1993;2(2):153-9.
4 Oppikofer S. Bundesamt für Gesundheit (BAG). Lebensqualität von Menschen mit einer Demenzerkrankung. Stand 2013.
5. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Subkommission Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz. Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz. Stand 2017.
7 Brioschi Guevara A, Bieler Daniele Altomare M, et al. Protocols for cognitive enhancement. A user manual for Brain Health Services-part 5 of 6. Alzheimers Res Ther. 2021;13(1):172.
8 Wieser S, Riguzzi M, Pletsche M, et. al. How much does thetreatment of each major disease cost? Adecomposition of Swiss National Health Accounts. The European Journal of Health Economics. 2018;19:1149–1161

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