Interessenvertretung Wenn es um Interessenvertretung geht, denken viele zuerst an Lobbying im Bundeshaus. Dabei ist die wichtigste Interessenvertretung das Parlament. Im Oktober können Sie entscheiden, wer sich hier für ein starkes Gesundheitswesen einsetzen soll. Nutzen Sie diese Möglichkeit – und schauen Sie genau hin!
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Lobbying im Bundeshaus denken? Die mächtige Bauernlobby vielleicht? Die Krankenkassenlobby dürfte Ihnen sicher auch geläufig sein. Wie steht es mit der Ärztelobby? Interessenvertretung im Bundeshaus ist omnipräsent. Was manche für anrüchig halten, ist für andere Teil einer funktionierenden Demokratie. «Lobbying im Bundeshaus ist legitim» bilanziert beispielsweise auch ein «10vor10»-Beitrag zum Thema Lobbying im Gesundheitswesen vom November 2022. Um dann doch noch kritisch nachzureichen: «Doch punkto Gesundheitswesen wird unter der Bundeshauskuppel gerne auch Einzelinteressen nachgegeben.» Interessenvertretung ist nicht gleich Interessenvertretung.
Dass in der Politik von unterschiedlichsten Seiten versucht wird, die Gesetzgebung zu beeinflussen, ist ein Gemeinplatz. Lobbying ist dabei nur eines von vielen Mitteln. Wählen und abstimmen sind in der Schweiz der wichtigste Weg der politischen Einflussnahme. Viele Verbände und NGOs führen aktive Wahl- und Abstimmungskampagnen – oft sogar mit deutlich höherem Budget als die Parteien.
Unser Wahlsystem hat es in sich
Die Zusammensetzung des Parlaments ist selbstredend ein wichtiger Faktor, auch wenn es darum geht, wie die Gesundheitspolitik in Zukunft gestaltet wird. Mehr Ärztinnen und Ärzte im Parlament bedeuten aber nicht automatisch, dass es für unser Gesundheitswesen bessere Lösungen gibt. Denn auch wenn ein Arzt neu ins Parlament einzieht, ist noch nicht gesagt, dass dieser auch Spuren hinterlässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Perspektive der Ärzteschaft gewichtiger eingebracht wird, dürfte jedoch steigen. Ist es zielführend, explizit Ärztinnen und Ärzte bei den anstehenden Nationalratswahlen zu berücksichtigen? Grundsätzlich sicher, beim Schweizer Wahlsystem lohnt es sich aber, vor der Stimmabgabe die Ausgangslage genau anzuschauen.
Gut gemeint ist nicht immer gut gewählt
Gerade die Nationalratswahlen haben ihre Tücken. Denn im Gegensatz zur Wahl von Ständerätinnen und -räten, die meist im Majorzverfahren stattfinden, werden Nationalrätinnen und -räte meist im Proporzverfahren gewählt. Das heisst, dass zuerst die Listenstimmen über die Anzahl der Sitze einer Partei entscheiden, die Kandidatenstimmen entscheiden dann, wer die gewonnen Sitze erhält (siehe Kasten «Achtung Proporzwahl»).
Dadurch ist gut gemeint nicht immer gut gewählt, wie dieses fiktive Fallbeispiel zeigt: Eine Partei hat aktuell einen Sitz im Nationalrat und strebt einen zweiten an. Die bisherige Nationalrätin ist völlig unbestritten. Hinter ihr kandidiert ein bekannter Kantonsrat, der sich in der Gesundheitspolitik als strenger Sparer und Befürworter von mehr staatlicher Steuerung im Gesundheitswesen einen Namen machte. Auf Listenplatz 10 kandidiert gleichzeitig eine eher unbekannte Ärztin, die sich im Bundeshaus für ihren Berufsstand einsetzen möchte. Wieso also nicht einfach diese Ärztin auf die Liste schreiben? Schliesslich erhöht dies die Wahlchancen der Ärztin. Hier gilt es, Folgendes zu bedenken: Jede Stimme für die Ärztin ist in erster Linie eine Stimme für ihre Liste respektive Partei. Selbst eine Panaschierstimme kann dazu führen, dass die Partei tatsächlich den zweiten Sitz macht – und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit der bekannte Kantonalpolitiker auf Listenplatz zwei in den Nationalrat einzieht. Aus Sicht der Ärzte resultiert somit die schlechteste aller Möglichkeiten: Die Ärztin wird nicht gewählt, dafür schafft es der Spar- und Staatsadvokat in Sachen Gesundheitswesen.
Achtung Proporzwahl
Bei Proporzwahlen entscheiden zuerst die Listenstimmen über die Anzahl der Sitze einer Partei. Im zweiten Schritt entscheiden dann die Kandidatenstimmen darüber, wer diese Sitze erhält. Jede Stimme für eine Kandidierende einer Partei, ist auch immer eine Stimme für ihre Liste. Es empfiehlt sich deshalb, zu schauen, wer die aussichtsreichsten Kandidaten auf einer Liste sind. Denn sonst kann eine Stimme, die Sie für eine weniger chancenreiche Person abgeben, deren Liste stärken und damit einer Parteikollegin oder einem Parteikollegen mit mehr Kandidatenstimmen zur Wahl verhelfen – auch wenn Sie diese(n) vielleicht gar nicht wünschen.
Eine unveränderte Liste bringt einer Partei am meisten Listenstimmen. Wer einer bestimmten Partei – oder einer Listenverbindung – seine Stimme geben will, kann den Namen dieser Partei auf seinem Wahlzettel eintragen. So erhält die Partei auch für leere Linien oder durchgestrichene Namen die Listenstimmen. Trägt der Wahlzettel keine Parteibezeichnung, gehen leere oder durchgestrichene Stimmen verloren. Sie können auf einer Liste auch panachieren, das heisst Kandidierende durchstreichen und durch andere Kandidierende, unabhängig von der Partei, ersetzen. Die entsprechende Listenstimme geht in diesem Fall an die Partei des hinzugefügten Kandidaten.
In vielen Kantonen gehen Parteien Listenverbindungen ein, um ihre Chancen auf einen zusätzlichen Sitzgewinn zu erhöhen. Hier kann es sogar sein, dass von Ihrer Stimme für eine Partei Kandidierende einer anderen Partei profitieren. Schauen Sie also genau hin – und wählen Sie wirksam.
Sollten Sie auf einer der Listen eine Ärztin oder einen Arzt auf dem Platz gleich nach den Bisherigen finden, ist es im Umkehrschluss sicher keine schlechte Idee, diese zu portieren – vorausgesetzt natürlich, Sie können mit den politischen Positionen der Kandidatin oder des Kandidaten und der Partei überhaupt etwas anfangen.
Wahlverhalten statt Wahlversprechen
Apropos politischer Positionen: Grundsätzlich sollte man sich eher an der Analyse des Wahlverhaltens orientieren, denn an Wahlversprechen. Wir kennen es alle: Im Wahlkampf wird viel versprochen, das in der täglichen politischen Arbeit dann kaum eingelöst wird. Daher: wenn möglich, sollte man schauen, wie Politikerinnen bislang abgestimmt haben. Bei Bisherigen sollten solche Erwägungen auch mit Blick auf die Gesundheitspolitik gemacht werden: Gerade in der laufenden Legislatur hat sich bei verschiedenen gesundheitspolitischen Geschäften gezeigt, dass das Stimmverhalten auch innerhalb der Fraktionen oft sehr unterschiedlich ist. Bei der Debatte über das Kostendämpfungspaket hatten Abweichler (und Absenzen) teilweise entscheidenden Einfluss auf Gesetzesartikel.
Die unterschätzte Vernehmlassung
Die Abstimmungen im Parlament markieren meist den Endpunkt des politischen Prozesses. Am anderen Ende – oder eben am Anfang – stehen in der Regel die Vernehmlassungen. Was unspektakulär tönt, ist in vielen Fällen bereits ein wichtiger Schritt im Gesetzgebungsprozess. Es ist unverständlich, weshalb die Vernehmlassungen von vielen politischen Akteuren oft verschlafen oder zu wenig ernst genommen werden. Dabei gilt: Je früher und breiter man ein Anliegen im politischen Prozess platziert, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses auch Aufnahme im entsprechenden Gesetzesartikel findet. Es empfiehlt sich daher, möglichst viele und möglichst gehaltvolle Vernehmlassungsantworten einzureichen. Eine enge Koordination mit dem Dachverband und die Zusammenarbeit mit verbündeten Organisationen sind zentral. Es zeigt sich zudem, dass sogenannte Mustervernehmlassungen, die von mehreren Absendern gleichzeitig eingereicht werden, besonders effektiv sind. Abschreiben ist hier für einmal erlaubt.
Mehr Freiheit in den Kommissionen
Nehmen wir an, die junge Ärztin, welche sich für den Berufsstand einsetzen möchte, hat die Wahl mirakulöserweise doch geschafft und sich von Listenplatz 10 auf den zweiten Platz vorgekämpft. Freude herrscht – eine Verbündete mehr im Parlamentsrund! Oder doch eher eine von 246 Parlamentarierinnen und Parlamentariern? Wenn die Wahl einen Einfluss auf die Gesundheitspolitik haben soll, wäre es von Vorteil, die junge Ärztin käme gleich ab Legislaturtag eins in die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N). Denn dort finden die wichtigen Weichenstellungen statt. In vielen Fällen fehlt in dieser Phase noch eine konsolidierte Partei- und Fraktionshaltung, was den Kommissionsmitgliedern eine gewisse Freiheit gibt, eigene Spuren zu hinterlassen. Leider ist es im politischen Alltag aber oft so, dass Neugewählte hintenanstehen müssen. Die wichtigen Kommissionen wie jene für Wirtschaft und Abgaben (WAK) oder eben die SKG sind in der Regel erfahrenen Parlamentariern vorenthalten
Die Arbeit in den Kommissionen geschieht zuweilen in Abstimmung mit den General-, Fraktions- oder Kommissionssekretariaten der Parteien. Diese Polit-Profis sind in einem Milizparlament ein entscheidender Schalthebel, da sie die Übersicht über die Geschäfte haben und so auch entscheidenden Einfluss auf die Fraktionspositionen ausüben können.
Wandelhalle: Symbolisch und überschätzt
Der Lobbyist in der Wandelhalle – wer kennt es nicht, dieses Symbolbild für das Lobbying helvetischer Prägung. Regelmässig entfacht auch die Diskussion über die Vergabe der Zutrittsberechtigungen. Jeder Parlamentarier kann zwei sogenannte «Badges» an Personen seiner Wahl vergeben. Zweifelsohne dürfte eine physische Nähe zum Politikbetrieb gewinnbringend sein. Schliesslich gibt es im Schweizer Parlament keinen Fraktionszwang, es ist deshalb auch möglich, Last-Minute in der Wandelhalle um Stimmen zu werben. Gerade im Nationalrat ist es aber oft so, dass die Fraktionspositionen befolgt werden. Dies heisst auch, dass die Debatte im Nationalrat kaum einen Einfluss auf das Stimmverhalten der Parlamentarierinnen hat. Gespräche mit Parlamentariern müssen deshalb viel früher geführt werden. Im Ständerat kommt es eher vor, dass die Diskussionen im Rat einen Meinungsumschwung herbeiführen. Dies ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass Ständerätinnen und Ständeräte in erster Linie ihren Kanton vertreten und erst in zweiter die Partei. Dass sie deshalb offener für Last-Minute-Einflussnahmen in der Wandelhalle sind, darf jedoch bezweifelt werden.
Medien lechzen nach exklusivem Material
Und so ist es in der Regel die vorparlamentarische Phase samt Kommissionsarbeit, welche die Stossrichtung vorgibt. Es empfiehlt sich daher, das politische Terrain für diese Phase des Gesetzgebungsprozesses vorzubereiten: Der Medienarbeit kommt hierbei eine wichtige Rolle zu. Der direkte Kontakt mit Journalistinnen und Journalisten oder ein gut platzierter Gastbeitrag in einem Leit- oder Fachmedium kann oft viel bewirken – mehr als eine Medienmitteilung oder gar eine Pressekonferenz: Journalisten unterstehen aufmerksamkeitsökonomischen Logiken und lechzen nach exklusiven Informationen und nicht so sehr nach Massenware. Indem man bilateral Informationen austauscht oder in Gesprächen ein Thema erklärt, hat man auch gute Chancen, ein Thema auf die mediale Agenda zu heben. Gute Argumente sind auch bei Journalisten gut aufgehoben. Diesen Umstand sollte man sich unbedingt zunutze machen. Denn letztlich nehmen auch die Entscheidungsträger im Bundeshaus wahr, was die Leit- und Fachmedien in ihren Politikfeldern schreiben und denken.
Volksentscheide als Ultima Ratio
Diese Aspekte sind umso wichtiger, wenn man sich gezwungen sieht, die eigenen Interessen über direktdemokratische Mittel zu verfolgen. Referenden und Initiativen sind in der Schweizer Politik die Ultima Ratio. Der Aufwand solcher Kampagnen, nicht nur der finanzielle, ist enorm. Gleichzeitig kann potenziell auch viel gewonnen werden. Mit einer erfolgreichen Volksabstimmung kann man auch der Gesundheitspolitik über längere Zeit den eigenen Stempel aufdrücken. Es versteht sich von selbst, dass eine breite Allianz die Arbeit erleichtert und die Erfolgschancen an der Urne erhöhen. Denn eines ist auch klar: Wo viel gewonnen werden kann, ist auch starke Opposition nicht weit.
Gerade in der Gesundheitspolitik gibt es einen breiten Strauss an Interessen, die mit Nachdruck vertreten werden. Die FMH ist gut beraten, wenn sie die ganze Klaviatur der Interessenvertretung nutzt, um für ihre Mitglieder und damit für die Patienten und Patientinnen in der Schweiz das Beste herauszuholen. Am 22. Oktober haben auch Sie Einfluss darauf, wie die Gesundheitspolitik der kommenden Jahre aussehen wird. Gehen Sie wählen und es spricht nichts dagegen, dass Sie wenn möglich Berufskolleginnen und Berufskollegen portieren – solange Sie es richtig machen!
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