Das EPD 2.0 – Was ist drin und was sollte noch rein?

Das EPD 2.0 – Was ist drin und was sollte noch rein?

Leitartikel
Ausgabe
2023/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.22103
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(34):20-21

Publiziert am 23.08.2023

Elektronisches Patientendossier Das elektronische Patientendossier (EPD) soll umfassend revidiert werden. Die Vorlage zum revidierten Bundesgesetz enthält Neuerungen, welche die Ärzteschaft wie auch die Bevölkerung tiefgreifend betreffen.
Späte Einsicht ist besser als keine», sagt der Bundesrat und verordnet eine umfassende Revision des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG). Von einem Scheitern war zuvor die Rede oder sogar von einem Regulierungsversagen, wenn es um das im Jahr 2017 in Kraft getretene Gesetz ging. Zu detailliert seien die Anforderungen und Rahmenbedingungen, die vor mehr als zehn Jahren entwickelt wurden und somit nicht dem Wandel von Technologie und Gesellschaft Rechnung tragen könnten. Dabei wird der Schweiz aus dem Ausland in Punkto Digital-Health-Governance auch Gutes bescheinigt: «Die E-Health-Strategie sowie das EPDG stecken einen klar definierten regulativen Rahmen mit zeitlichen Vorgaben und technischen Bedingungen», heisst es im Bericht der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2018 [1]. Dass es hinter den Kulissen noch nicht so gut funktioniert, wie aus der makroskopischen Perspektive vermutet wird, zeigt der Auftrag des Bundesrates, das neue nationale Programm DigiSanté zu erarbeiten. Mit ihm soll die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen vorwärtsgetrieben werden [2]. Das Programm soll die Versäumnisse der letzten Jahre im Bereich des automatisierten Datenaustausches seitens Bund aus dem Weg räumen, damit Gesundheitsfachpersonen möglichst nicht mit unnötigen Doppelerfassungen und Medienbrüchen konfrontiert sind.
Es versteht sich von selbst, dass ein EPD nur dann sinnvoll und nutzenbringend im Behandlungsprozess eingesetzt werden kann, wenn die behandlungsrelevanten Informationen effizient im EPD erfasst und rasch abgerufen werden können.
Alexander Zimmer
Dr. med., Mitglied des Zentralvorstandes und Departementsverantwortlicher Digitalisierung/eHealth
Die Vorlage zur EPDG-Revision sieht vor, dass Gesundheitsfachpersonen verpflichtet sind, behandlungsrelevante Daten, wenn möglich in strukturierter Weise, im elektronischen Patientendossier zu erfassen. Es liegt auf der Hand, dass nicht alle Daten der elektronischen Krankengeschichte vollständig strukturiert erfasst werden können. Ziel sollte jedoch sein, dass all diejenigen Daten, die bereits heute automatisiert verarbeitet werden und somit in strukturierter Form vorliegen, im EPD in einer standardisierten und strukturierten Form übertragen werden können. Andernfalls ist zu befürchten, dass das EPD mit PDF-Dokumenten, rasch unübersichtlich wird und somit seinen Zweck verfehlt.
Zudem sind die meisten Praxissoftwaresysteme noch nicht mit einer Standardschnittstelle zum EPD ausgestattet [3]. Im Praxisalltag bedeutet dies, dass die für das EPD vorgesehenen Daten über ein Webportal der Gemeinschaft oder Stammgemeinschaft manuell übertragen werden müssen. Insofern ist das EPD ein Integrationsprojekt, bei dem die Anschlussstellen an die Datenautobahn von Beginn an mitberücksichtigt werden müssen. Denn falsch ausgerichtete Anreize können auch für mangelnde Interoperabilität verantwortlich sein [4]. Anreize dürfen sich somit nicht ausschliesslich auf die Einführung des EPD beziehen, sondern insbesondere auch auf den Informationsaustausch von Gesundheitsdaten. Dafür ist es notwendig, dass Anbieter von Praxissoftwaresystemen, ihre Systeme und Anwendungen interoperabel gestalten und eine Standardschnittstelle zum EPD anbieten.
Der Bund möchte mit der Revision des EPD noch Weiteres. So soll es zum Beispiel Krankenversicherern möglich sein, Daten im EPD speichern zu dürfen. Auch der Bund selbst soll weitere Aufgaben erhalten, in dem er eine Datenbank zur Speicherung von strukturierten Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten unterhalten soll. Diese Datenbank soll dem Zweck dienen, so genannte dynamische Daten, wie aktuelle Medikamentenlisten, zur Verfügung zu stellen. Konkret bedeutet dies, dass das Prinzip der dezentralen Datenhaltung im EPD aufgegeben und implizit der Weg für eine zentrale Speicherung von Daten im EPD bereitet wird.

Aufhebung der doppelten Freiwilligkeit

Weiter findet sich in der Vorlage eine Pflicht zur Teilnahme am elektronischen Patientendossier auch für Leistungserbringer. Diese müssen sich einer zertifizierten Gemeinschaft oder Stammgemeinschaft nach Artikel 11 Buchstabe a EPDG anschliessen. Für Ärztinnen und Ärzte, die kurz vor der Praxisübergabe oder -aufgabe stehen, ist die Verpflichtung unzumutbar und würde den ohnehin bestehenden Fachkräftemangel verschärfen. Zuoberst steht daher die Forderung, dass der Bundesrat Ausnahmen von dieser Pflicht vorsehen muss.
Der Erfolg des EPD wird davon abhängen, ob es den Patientinnen und Patienten sowie den Gesundheitsfachpersonen Nutzen bringen wird.
© Wutthichai Luemuang / Dreamstime

Zugang zum EPD

Insbesondere im ambulanten Bereich bieten Stammgemeinschaften lediglich den Zugang zum EPD über ein Webportal an. Dies führt zwangsläufig zu einer doppelten Buchhaltung. Im Gesetz ist demnach der Zugang über eine Standardschnittstelle im Sinne einer tiefen Integration des EPD in die elektronische Krankengeschichte vorzusehen.
Patientinnen und Patienten bestimmen mittels einer komplizierten Berechtigungssteuerung, wer Zugriff auf ihr Dossier haben soll. Fehlen die Berechtigungen für die Hausärztin oder den Hausarzt, ist das EPD nutzlos. Daher wäre es sinnvoll, dass Ärztinnen und Ärzte, sowie weitere berechtigte Personen die Daten von Patientinnen oder Patienten einsehen können, soweit diese ihr Einverständnis im Rahmen der Behandlung bereits erteilt haben.
Damit das EPD die für die Behandlung relevanten Informationen enthält, braucht es klare Spielregeln. Denkbar wäre, dass sich die Verbände der Leistungserbringer auf ein Minimal Data Set einigen, die im elektronischen Patientendossier erfasst werden.

Kostenfreiheit

Die Nutzung des elektronischen Patientendossiers sowie der Erhalt und die Nutzung eines Identifikationsmittels ist für Patienten und Patientinnen nach Artikel 7 des neuen Gesetzes kostenlos. Nicht zuletzt angesichts des Fachkräftemangels und der ineffizienten und belastenden Zunahme der Administrativlast ist klar, dass die Bewirtschaftung des EPD für Gesundheitsfachpersonen sachgerecht entschädigt werden muss.

Zweckmässig, wirksam, wirtschaftlich

Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) sorgt dafür, dass Zweckmässigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Massnahmen dem Gesetz entsprechend periodisch evaluiert werden. Auch wir Ärztinnen und Ärzte erbringen unsere Leistungen gemäss diesen Prinzipien. Konsequenterweise muss seitens Gesetzgeber gehandelt werden, wenn sich herausstellt, dass das EPD nicht diesen Anforderungen genügt.
Entsprechend dieser geschilderten Standpunkte wird sich die FMH mit einer differenzierten schriftlichen Stellungnahme zur laufenden Vernehmlassung äussern und sich weiter konstruktiv an der dringend notwendigen Verbesserung des EPD beteiligen.
Man kann es aber nur mantrahaft wiederholen: Der Erfolg des elektronischen Patientendossiers wird davon abhängen, ob es den Patientinnen und Patienten sowie den Gesundheitsfachpersonen wirklichen Nutzen bringen wird.
Dazu ist es aus Sicht der FMH notwendig, dass die Leistungserbringerverbände bei der Erarbeitung und Weiterentwicklung des elektronischen Patientendossiers eng miteinbezogen und nicht übersteuert werden.
1 Thiel R: # SmartHealthSystems Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich. Bertelsmann Stiftung, 2018.
2 Bundesamt für Gesundheit: DigiSanté: Förderung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen. Abgerufen am 4. August 2023 von https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/digisante.html
3 eHealth Suisse: Liste der Selbstdeklarationen von Primärsysteme. Abgerufen am 4. August 2023 von https://selbstdeklaration.e-health-suisse.ch/selbstdeklarationen.
4 Reisman M. EHRs: The Challenge of Making Electronic Data Usable and Interoperable. P T. 2017 Sep;42(9):572-575.

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