Eidgenössische Wahlen In der letzten Legislatur wurden so viele gesundheitspolitische Geschäfte behandelt wie selten. Gleichzeitig schlittert das Gesundheitswesen «dem Abgrund entgegen» [1]. Welche Auswirkungen hat die eidgenössische Politik auf die Patientenversorgung und wie können Sie mit Ihrer Stimme Einfluss nehmen?
In diesen Tagen finden alle Schweizerinnen und Schweizer wieder die Wahlunterlagen in ihren Briefkästen und überlegen, wie sie ihre Listen ausfüllen. Bei dieser Wahl fliessen viele Aspekte ein, für uns Ärzte und Ärztinnen dürfte vor allem die Gesundheitspolitik wichtig sein. Doch wie lässt sich abschätzen, ob sich ein Kandidierender für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen einsetzen wird? Bei den Bisherigen ist es ratsam sich ihr Abstimmungsverhalten in der letzten Legislatur anzusehen [2]. Bei neuen Kandidierenden bietet Orientierung, wie sich ihre Partei in der letzten Legislatur gesundheitspolitisch verhalten hat.
Legislatur im Kostenröhrenblick
Die letzte Legislatur stand – wieder einmal – unter dem Stern der Kostendämpfung. Dieses sinnvolle Vorhaben wurde aber nicht mit Hilfe zielführender Reformen vorangetrieben. Stattdessen wurde mit Kostenkatastrophen-Rhetorik vor allem staatliche Mikroregulierung gefördert. Dies spart keinerlei Kosten, schafft aber viel Administration. Über viele Vorstösse zur vermeintlichen «Kostendämpfung» bestand Einigkeit unter verschiedensten Parteien. Die Kostenbremse-Initiative wurde zwar nur von der Mitte-Partei unterstützt. Auf den bundesrätlichen indirekten Gegenvorschlag, der Kostenziele plant, traten jedoch die Nationalrätinnen und -räte fast aller Parteien grossmehrheitlich ein. Eine Ausnahme bildete hier lediglich die SVP, die eine solche Regulierung ablehnte sowie eine Minderheit innerhalb der Grünen, die sich enthielt.
Aufweichung der Tarifpartnerschaft
Die Politik ist sich zwar einig, dass Kosten gedämpft werden sollen, darüber wie dies genau geschehen soll, gehen die Meinungen jedoch auseinander. In der letzten Legislatur stand weiterhin das Tarifwesen im Fokus der Politik. Der Nationalrat forderte beharrlich neue Kompetenzen des Bundesrats für die stationären Tarife – obwohl die Tarifpartnerschaft gut funktioniert [3]. SP, Grüne, Grünliberale und Teile der Mitte forderten unverzügliche Eingriffe des Bundesrats in den ambulanten Tarif, die nur knapp mit Stimmen der SVP, der FDP und des anderen Teils der Mitte abgelehnt wurden [4].
Vor allem die Linke versprach, dass mehr staatliche Kompetenzen und Regulierung Einsparungen bringen würden. Das Gegenteil trifft zu: Nur sachgerechte Tarife können Fehlanreize verhindern und Effizienz fördern – und betriebswirtschaftlich korrekte Tarife gewährleistet am besten ein System, in dem Kostenträger und Leistungserbringer hart miteinander ringen. Wo die Tarifgestaltung politischen Motiven folgt, verabschiedet man sich von der Sachgerechtigkeit – und damit von einem funktionierenden und effizienten Gesundheitswesen. Doch leider ist das Tarifwesen eine sehr komplexe Materie und vielen nicht bewusst, wie folgenschwer hier bereits kleine Eingriffe in Gesetzestexte sein können.
Globalbudget knapp verhindert
Wie die Forderung von mehr staatlichen Tarifkompetenzen mit unzutreffenden Versprechen verknüpft wird, zeigte in der letzten Legislatur die Debatte um den hartnäckig vorangetriebenen Artikel 47c KVG. Dieser sollte eine «Kostensteuerung» ermöglichen und «ungerechtfertigte» Kostensteigerungen korrigieren. Tatsächlich hätte dieser Gesetzesartikel eine Budgetierung eingeführt, weil eine vorab fixierte «gerechtfertigte» Kostengrenze hätte eingehalten werden müssen. Für diese Form des Globalbudgets stimmten neben der SP und den Grünen auch die Mitte und die Grünliberalen. Verhindert wurde es durch Stimmen der SVP und FDP.
Über Staatstarife zur Staatsmedizin?
Die nächste Legislatur wird neue Angriffe auf die Tarifpartnerschaft bringen. Aktuell möchte die Politik «differenzierte Tarife» schaffen. Dabei ignoriert sie, dass Tarife immer differenziert sind: Es ist ihr einziger Daseinszweck den Wert verschiedener Leistungen zu differenzieren. Meist kritisiert die Politik sogar, die vielen Tarifpositionen seien zu differenziert. Wo die Politik «differenzierte Tarife» anpreist, sind tatsächlich Behördentarife gemeint, die politischen Zielen folgen. Das Versprechen so die Grundversorgung zu fördern, ist unglaubwürdig. Die Grundversorgung würde kaum attraktiver, wenn die Vergütung der Hausärzte politischer Willkür ausgeliefert würde. Was ihm die Grundversorgung wert ist, zeigte der Bund zuletzt als er den Hausärzten 14.50 Franken für eine Corona-Impfung zahlen wollte. Auch Bundesrat Alain Bersets gescheiterte Pläne, Hausärzte neu als Erstberatungsstellen mit staatlichen Pauschalen zu vergüten, sprechen für sich.
An der Tarifpolitik hängt folglich viel mehr als das ärztliche Einkommen – sie kann die Versorgungssituation prägen: Über die Tarife lässt sich budgetieren oder auch Strukturpolitik betreiben, indem man z.B. Spitäler den Praxen gegenüber bevorteilt. So entschied das Parlament in dieser Legislatur auch, dass ambulante Leistungen in Praxis und Spital nicht nach der gleichen Tarifstruktur vergütet werden müssen [5]. Das Prinzip «gleiche Leistung, zwei Tarife» unterstützten mit Ausnahme der SVP alle Parteien [6].
Linke für Prävention und Klima
Während die Linke, die Mitte und die Grünliberalen im Tarifbereich für zunehmende Bundeskompetenzen, Behördentarife und Budgetierung stimmten, unterstützten dieselben Parteien in anderen Themenfeldern ärztliche Anliegen. Hervorzuheben ist hier die «Kinder ohne Tabak»-Initiative. Hier unterstützten im Parlament mit der SP und den Grünen ausschliesslich die linken Parteien und die Grünliberalen stärkere Einschränkungen der Tabakwerbung, während die SVP, die FDP und die Mitte dagegen stimmten [7]. Auch der Einsatz der FMH für «planetary health» um dem Klimawandel als grösster gesundheitlicher Bedrohung unseres Jahrhunderts entgegenzutreten [8], wird von der linken Seite des Parlaments und insbesondere den Grünen stärker unterstützt. Zudem hat die Linke, gemeinsam mit den Grünliberalen, der Mitte und der FDP gegen Teile der SVP, Ausnahmen von der neuen Zulassungsregelung befürwortet, was deren schädliche Auswirkungen zumindest teilweise mildert [9].
Differenzen innerhalb der Parteien
Auch wenn die Parteien häufig einheitlich abstimmten, sollte man die Möglichkeit unseres Wahlsystems nutzen einzelne Personen zu würdigen. Immer wieder stehen Parlamentarier auch gegen die Parteilinie für das Gesundheitswesen ein. Z.B. dürfte die Mitte-Partei in der Ärzteschaft viele Sympathien verloren haben, seit uns ihr Parteipräsident als «Profiteure eines Kartells» diffamiert hat, die sich im Paradies der Selbstbedienung nicht «beim Geldzählen stören» lassen möchten [10,11]. Aber auch wenn die Mitte eine schädliche politische Agenda vorangetrieben hat, gilt es zu differenzieren. Diese Partei ist in vielen politischen Geschäften entscheidend – und verfügt auch über Kandidierende, die sich glaubwürdig für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen einsetzen und nicht nach Parteidoktrin, sondern nach Sachlage entscheiden.
Was also wählen?
Wie Sie bei der Wahl mit Blick auf das Gesundheitswesen stimmen sollten, hängt stark davon ab, welche Themen Ihnen am wichtigsten erscheinen. Wer bürgerlich wählt, darf darauf hoffen, dass die Tarifpartnerschaft erhalten bleibt, wird aber weniger Unterstützung für Präventionsanliegen und Klimapolitik bekommen. Wer links oder grünliberal wählt, muss mit Behördentarifen und einer zunehmenden Verstaatlichung unserer Gesundheitsversorgung rechnen, darf aber mehr Einsatz für die Prävention und das Klima erwarten. Wer die Mitte wählt, fördert konsequente Kostenpolemik – es sei denn, er stärkt diejenigen Personen, die innerhalb der Mitte für einen breiteren Blick einstehen. Und wer eine starke Tarifpartnerschaft und eine starke Prävention sowie «planetary health» wünscht, der sollte sich innerhalb der Partei seiner Wahl engagieren und Sachkompetenz und Differenzierungen in der Gesundheitspolitik stärken.
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