Heilen ist gut – Selbst(er)kenntnis ist tiefer
Ärztinnen und Ärzte wendet sich den Kranken zu. Sie helfen ihnen, suchen sie zu heilen. Dies ist nach meiner Lektüre der Tenor am Schluss des Textes. Was mir hier wesentlich fehlt, ist auch bei Klaus Dörner zu vermissen, wenn er in seinem Buch «Der gute Arzt. Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung» [1] im Abschnitt «Verstehen» als «bewährte Faustregel» schreibt: «Als Arzt ist es nicht meine Aufgabe, den anderen besser zu verstehen, vielmehr ist es meine Aufgabe, meine Beziehung zum anderen so zu gestalten, dass er sich besser versteht.» Ob nun die «paternalistische Haltung (Subjekt-Objekt-Dimension)», die «partnerschaftliche bzw. gegnerschaftliche (Subjekt-Subjekt-Dimension)» oder die «Haltung vom Anspruch des anderen her (Objekt-Subjekt-Dimension)» – selbst die «Haltung vom Anspruch des anderen her» (E. Levinas) kann nur geleistet werden, wenn just jenes beachtet wird, was S. Kierkegaard (1813–1855) anhand seiner ersten von vier erbaulichen Reden von 1844 brillant veranschaulicht: die «tiefere Selbsterkenntnis» [2]. Denn nach Irvin D. Yalom gilt: «Je besser wir uns selber kennen, desto besser wird unser Leben» [3]. Davon ist in den ärztlichen «Reflexionen zum Tag der Kranken» leider nichts Näheres zu lesen. Es ist eine grosse Aufgabe, andere zu verstehen, gewiss besonders verantwortungsvoll in der Arzt-Patienten-Beziehung. Eine grössere ist es wohl, sich selber tiefer zu verstehen. Da dies die Grundlage für die Zuwendung zum anderen, hier: den Kranken, ist, ist zu fragen, warum sie, die tiefere Selbsterkenntnis, nicht vom Autor als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie näher mit bedacht worden ist, sodass allen Ärzten dieses Fundamentale gewahr werden kann? Wie sonst sollte ich, als Arzt oder als Kranker, selber getrost und mit Vertrauen sagen können – ob in Pandemie- oder in Kriegszeiten –: «Ich liebe mein Leben»? –
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