Trotzdem ist das Gespräch ein Prozess von mehreren Minuten, denn er wird immer wieder nach wenigen Worten von einer Starre unterbrochen. Danach sprudelt der Rest des Satzes jeweils nur so aus ihm heraus – als befürchte er, das Angestaute nicht vor der nächsten Pause loswerden zu können. Seine Hände untermalen das Gesagte dabei mit ruckartigen, nervösen Gesten. Es wird klar, dass ein ausführliches Anamnesegespräch schwierig werden könnte, und ich bitte Herrn H. deshalb, erst einmal seine Schuhe auszuziehen und mir seine Füsse zu zeigen. Diese feinmotorische Herausforderung braucht seine Zeit, doch schliesslich liegt Herr H. auf der Untersuchungsliege und ich kann seine Füsse begutachten. Die Zehennägel am rechten Fuss sehen spröde und brüchig aus und sind etwas gelblich verfärbt. Tatsächlich glaube ich eine gewisse Ähnlichkeit mit den zuvor gesehenen Bildern von Nagelpilzen aus dem Internet zu erkennen. Da dies aber leider noch nicht für eine verlässliche Diagnose reicht, hole ich Dr. C. dazu. Im Nebenzimmer fasse ich ihm das Erfahrene kurz zusammen und folge ihm wieder ins Behandlungszimmer. Was nun geschieht, lässt mich den Fuss mitsamt mutmasslichem Pilz vorerst vergessen. Kaum betritt Dr. C. das Zimmer, leuchten die Augen des Patienten auf und ich sehe ihn zum ersten Mal lächeln. «Ciao, Tom! (Name geändert) Wie geht’s denn deinen Füssen?» Eine Hand im Händedruck, die andere auf seiner Schulter, begrüsst er Herrn H. mit einem herzhaften Lächeln. Durch die Schulterberührung scheint Dr. C. gleich zu Beginn die Distanz zum Patienten zu überwinden, ohne ihm zu nahe zu kommen. Herr H. sinkt daraufhin etwas gelöster in seinen Stuhl zurück. Es folgen ähnliche Fragen, wie ich sie zuvor gestellt hatte, nur dauert dasselbe Gespräch nun halb so lange wie zuvor. Herr H. wirkt plötzlich viel entspannter, erzählt ohne Aufforderung und verhaspelt sich kaum noch. Es scheint mir sogar, als würden die Intervalle zwischen den Starren länger werden. Geschickt flicht Dr. C. persönliche Fragen zur Familie von Herrn H. ein und erzählt im Gegenzug etwas aus seinem eigenen Privatleben. «Es muss angenehm sein, wenn man als Patient auch persönliche Informationen über den Arzt erhält und nicht nur selbst Dinge von sich preisgibt», denke ich mir. So mutet das Ganze eher an wie ein Gespräch zweier Freunde als eine Anamnese. Trotzdem ist bei genauerem Hinhören ein klarer roter Faden zu erkennen, sodass Dr. C. nach kurzer Zeit die gewünschten Informationen erhält und wir uns den Füssen zuwenden. Mein Verdacht auf Nagelpilz wird durch Dr. C. bestätigt und er verschreibt dem Patienten einen Nagellack. Alles läuft ziemlich routiniert ab und auch Herr H. wirkt unbeeindruckt – verständlicherweise, es ist schliesslich «nur» ein Pilz. Nach kurzen Erklärungen neigt sich die Sprechstunde dem Ende zu und Herr. H. macht einen zufriedenen Eindruck. Er zieht seine Schuhe wieder an, verabschiedet sich und zieht etwas behäbig davon.