Aktuelle Diskussionspunkte zu Gesundheitsauswirkungen der Luftschadstoffe
«Rauchen ist viel giftiger und die Dosis viel höher. Deshalb kann bei der vergleichsweise niedrigen Dosis der Luftverschmutzung kein Schaden entstehen»
Es gibt viele biologische Zusammenhänge, bei denen die Dosis und die Wirkung nicht geradlinig zusammenhängen, sondern die zusätzliche Wirkung mit zunehmender Dosis nachlässt. Das lässt sich gut am Beispiel Rauchen illustrieren: Das Risiko für einen Herzinfarkt unterscheidet sich kaum, ob jemand 5 oder 20 Zigaretten täglich raucht. Trotz grossem Unterschied in der Dosis haben beide Raucher im Vergleich zu einem Nichtraucher ein um ca. 100% erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt [37]. Trotz der viel geringeren Dosis erhöht regelmässiges Passivrauchen das Herzinfarktrisiko um ca. 50% im Vergleich zu unbelasteten Personen [38–41]. Eine Langzeitbelastung von zusätzlichen 5 µg/m3 Feinstaub erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt um ca. 10% [42]. Die Dosis-Wirkungs-Beziehung ist also nicht linear, sondern flacht bei hoher Dosierung ab [37, 43]. Wird dieser nichtlineare Zusammenhang korrekt berücksichtigt, zeigt sich eine sehr hohe Übereinstimmung in den Auswirkungen dieser verschiedenen Luftschadstoffbelastungen. Passivrauchen und niedrige Luftverschmutzung führen zu vergleichbaren Gesundheitsschäden.
Rauchen und Luftverschmutzung unterscheiden sich auch aus anderen Gründen:
– Das Belastungsmuster ist anders: Rauchen führt zu hohen Belastungen mit Pausen zwischen den Zigaretten. Luftverschmutzung wirkt kontinuierlich den ganzen Tag und das ganze Jahr über ohne Unterbrechung.
– Rauchen belastet in erster Linie erwachsene Menschen, Luftverschmutzung wirkt auch auf Ungeborene, Säuglinge, Kinder mit Asthma und alte Menschen.
– Rauchen kann im Prinzip selbst kontrolliert und beendet werden. Luftverschmutzung kann man nicht oder nur schwer aus dem Weg gehen.
«Es fehlt ein typisches Vergiftungsmuster»
Feinstaub, Ozon und Stickstoffoxide haben ein typisches Wirkungsmuster, nämlich oxidativen Stress und entzündliche Reaktionen [z.B. 20, 44], und wirken damit sehr ähnlich wie Tabakrauch. Am meisten wissen wir über Feinstaub. Aus unzähligen Experimenten und Beobachtungsstudien wissen wir, dass Feinstaub entzündliche Reaktionen in der Lunge und im gesamten Körper verursacht, die Bildung von Blutgerinnseln fördert, den Herzrhythmus stört, die Arterienverkalkung verstärkt und den Fettstoffwechsel verändert. Zusätzlich gelangt Feinstaub bis in das Gehirn oder zum Fötus. Die gleichen biologischen Veränderungen sehen wir beim aktiven Rauchen und beim Passivrauchen. Auch kommt es zu den gleichen Erkrankungen, nämlich Herzinfarkten, Schlaganfällen, Lungenerkrankungen und Lungenkrebs.
«Tote durch Feinstaub oder Stickoxide gibt es nicht»
Das ist richtig, nach dieser Logik gibt es aber auch keine Toten durch das Rauchen. Dennoch wissen wir, dass Rauchen genau wie Luftverschmutzung auf lange Sicht schädlich ist und beispielsweise zu Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann, woran Menschen sterben können. Zu erkennen sind diese Zusammenhänge aber nur in Langzeitstudien und nicht an einem einzelnen Patienten oder Todesfall. Bei einem einzelnen Patienten oder einem einzelnen Todesfall lässt sich in den allermeisten Fällen nicht sagen, wie die Risikofaktoren zusammengespielt haben, die die Erkrankung oder den Tod ausgelöst haben. Auf Bevölkerungsebene kann man diese Zusammenhänge als eine Verkürzung der Lebenserwartung beziehungsweise verlorene Lebenszeit durch Luftschadstoffe abbilden.
«Die Studien berücksichtigen andere Risikofaktoren nicht und führen deshalb zu viel zu hohen Krankheitslasten»
Das ist falsch. Qualitativ hochwertige epidemiologische Studien berücksichtigen andere Risikofaktoren für Erkrankungen sehr genau (also z.B. Rauchen, mangelnde körperliche Bewegung, Ernährung, Bildung, Einkommen etc.). Die anerkannten Methoden einer hochwertigen Beobachtungsstudie (epidemiologische Studie) verlangen ausdrücklich, dass möglichst alle weiteren Risikofaktoren für die Erkrankung berücksichtigt werden.
Es ist ebenfalls falsch, zu sagen, dass in den Studien lediglich die Landbevölkerung mit der Stadtbevölkerung verglichen würde. Im Gegenteil: Die meisten Studien vergleichen heutzutage unterschiedlich belastete Stadtbevölkerungen. Dafür werden für jede Wohnadresse die Langzeitkonzentrationen von Luftschadstoffen berechnet.
«Die Grenzwerte in den USA für Stickstoffdioxid sind mehr als doppelt so hoch. Deshalb kann Stickstoffdioxid gar nicht so schlimm sein»
Das ist nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich liegt der Grenzwert für Stickstoffdioxid in den USA mit 100 µg/m3 höher als in der EU mit 40 µg/m3. Die Amerikaner haben allerdings deutlich strengere Regeln bei der Emission, also der Menge von Stickoxiden, die vom Fahrzeug ausgestossen werden. Das heisst, sie regulieren direkt an der Quelle, beim Auto, deutlich schärfer, weshalb für deutsche Autos in Amerika eine spezielle Nachrüstung erforderlich ist. So sind in der EU zurzeit 270 mg/km Stickstoffoxide erlaubt, während die höchste Schadstoffklasse in den USA bei 100 mg/km (Stickstoffoxide und organische Methangase) liegt, bei einem Flottenmittelwert von unter 20 mg/km. Die EU ist hingegen den Empfehlungen der WHO gefolgt und hat den von der WHO empfohlenen Richtwert für Stickstoffdioxid in der Umgebungsluft übernommen. Die EU berücksichtigt also eher die Schadstoffkonzentration, die wir tatsächlich einatmen.
Bei der Regulierung der Luftqualität müssen ausserdem die unterschiedlichen Schadstoffe wie Feinstaub und Stickstoffdioxid gemeinsam betrachtet werden. Die USA regulieren den Feinstaub mit einem sehr strengen Grenzwert von 12 µg/m3 für PM2,5. Im Gegensatz dazu ist in der EU der Grenzwert für Feinstaub mehr als doppelt so hoch, nämlich 25 µg/m3.