Dienstplanung – vom korrekten Umgang mit der Überzeit

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2021/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19851
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(23):765-767

Affiliations
Dr. med., Dienstplanberater vsao

Publiziert am 08.06.2021

Die laufende Verrechnung von Minus- und Pluszeiten der Mitarbeitenden ist in ­Spitälern gängige Praxis. Wenn es dabei aber um Überzeit geht, drohen rechtliche Probleme. Denn die Spielregeln sind klar – und deren Befolgung erhöht bei richtiger Handhabung die Arbeitszufriedenheit der Ärztinnen und Ärzte wesentlich.
In den meisten Spitälern der Schweiz ist es üblich, die täglichen Arbeitszeiten fortlaufend mit dem bestehenden Zeitsaldo zu verrechnen. Arbeitstage oder Arbeitswochen, die länger als das geplante Tages- oder Wochensoll dauern, werden mit den vorangehenden oder kommenden Tagen und Wochen verrechnet. Solange sich dies unterhalb der maximal zulässigen wöchent­lichen Höchstarbeitszeit abspielt, ist es unproblematisch. Handelt es sich jedoch um eigentliche Überzeit, die verrechnet wird, ist ein solches Vorgehen nicht korrekt. Die Zulässigkeit von Überzeit und der Umgang mit einmal entstandener Überzeit ist nämlich arbeitsgesetzlich explizit geregelt, wobei die Vorgaben zwingenden Charakter haben.

Die Rahmenbedingungen

Gemäss Arbeitsgesetz gilt im Grundsatz Folgendes:
– Als Überzeit gilt diejenige Arbeitszeit, welche die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit überschreitet.
– Die wöchentliche Höchstarbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte von 50 Stunden darf zum Schutz der Gesundheit nur ausnahmsweise überschritten werden.
– Wenn es ausnahmsweise zu Überzeit kommt, darf diese nicht mehr als 140 Stunden pro Kalenderjahr betragen.
– Überzeit ist im Normalfall mit 25 Prozent Lohn­zuschlag abzugelten.
– Alternativ und im Einverständnis mit der Mitarbeiterin / dem Mitarbeiter kann die Überzeit durch Freizeit kompensiert werden.
 
Bei dieser Auflistung gilt es, einerseits das Wort «ausnahmsweise» zu betonen. Überzeit ist nicht für das normale Arbeitsvolumen vorgesehen und nur in definierten Ausnahmesituationen zulässig, beispielsweise bei ausserordentlichem Arbeitsanfall. Das Einplanen von Überzeit oder vielmehr das Planen über die Höchstarbeitszeitgrenze hinaus ist nicht erlaubt. Fällt regelmässig bei Mitarbeitenden Überzeit an und kann somit nicht mehr von einer Ausnahme gesprochen werden, braucht es zwingend Handlungen seitens ­Arbeitgeber zum Schutz der Mitarbeitenden.
Andererseits ist zu betonen, dass Überzeit im Normalfall finanziell (und mit Zuschlag) abgegolten ­werden muss, dies als Entschädigung für die besonderen Anstrengungen der Mitarbeitenden und den Eingriff in ihre Freizeit. Nur dann, wenn sich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter mit einer Kompen­sation durch Freizeit einverstanden erklärt, stellt diese Abgeltungsform eine Option dar. Aus gesundheitlicher Sicht ist das Kompensieren durch Freizeit die wertvollere Variante. Auszugleichen ist die Überzeit dann mit Freizeit von gleicher Dauer innert ­angemessener Frist.
Ob man von einem Einverständnis der Mitarbeiterin /des Mitarbeiters zur Kompensation ausgehen darf, wenn diese als generelle Regel im Arbeitsvertrag steht, über welche man mit dem Spital gar nicht verhandeln konnte, sei dahingestellt. Dasselbe gilt für Formulierungen in Reglementen des Spitals oder in einem Gesamtarbeitsvertrag, auf die man als einzelne Angestellte keinen Einfluss hatte. Unabhängig davon muss die Kompensation für die Mitarbeitenden aber einem ­echten Gegenwert als planbare Freizeit von gleicher Dauer entsprechen. Dies als Ausgleich für den vormaligen Eingriff in seine freie Zeit.

Die fragwürdige Praxis

In den Spitälern, die eine laufende Zeitverrechnung von Arbeitszeiten vornehmen, werden diese zwingenden Vorgaben bezüglich des Umgangs mit Überzeit missachtet. Es findet keine Kompensation der Überzeit statt, die diesen Namen verdient und die dem vorgesehenen Erholungswert «Freizeit» entspricht. Ein Verrechnen mit einem negativen Zeitsaldo ist nicht gleichbedeutend mit dem Ausgleich durch Freizeit. Hinzu kommt, dass Minuszeit in den meisten Fällen planungsbedingt und daher durch Annahme­verzug des Arbeitgebers entstanden ist, weshalb diese unverschuldeten Minuszeiten ohnehin nicht auszugleichen sind.
Die durch eine laufende Zeitverrechnung entstehende falsche Handhabung der Überzeitkompensation führt bei den Ärztinnen und Ärzten verständlicherweise zu grossem Unmut und zu Unzufriedenheit. Denn wieso sollen Überzeiten, die in einem Bereich vielleicht sogar regelmässig und damit gesetzwidrig anfallen (zum Beispiel auf einer Bettenstation), mit Minuszeiten verrechnet werden, die andernorts (zum Beispiel auf einer Notfallstation) zwangsläufig und unverschuldet zustande kommen? Und wieso sollen negative Zeitsaldi, die ohne eigenes Verschulden entstanden sind, weil man arbeitsgesetzkonform nicht anders planen konnte, mit künftiger Überzeitarbeit gegengerechnet werden?
Beides ist stossend und nicht mit den oben aufgeführten Grundsätzen vereinbar. Für Überzeit muss Freizeit von gleicher Dauer gewährt werden. Einmal entstandene Minuszeit bezüglich der Höchstarbeitszeitgrenze kann man nicht geplant aufholen, da dies ein Planen über die Höchstarbeitszeit hinaus voraussetzen würde. Eine solche Möglichkeit ist arbeitsgesetzlich jedoch zu Recht untersagt. Im Falle der bei Schwangeren auf ­maximal 9 Stunden pro Tag reduzierten täglichen Arbeitszeit ist das allen klar. Niemand käme auf die Idee, betroffene Frauen müssten eine dadurch resultierende Differenz zu ihrer vertraglichen Sollarbeitszeit nach Ende der Mutterschaft nacharbeiten.

Der Überzeitindikator

Die meisten Zeiterfassungsprogramme in den Spitälern können die Überzeitarbeit, welche im Normalfall wöchentlich auszuscheiden ist, korrekt gesondert auflisten und addieren. Letzteres führt zum Ansteigen des kumulativen Überzeitenzählers («Überzeitindi­kator»). Dieser stellt das Total an Überzeitstunden dar, die im laufenden Jahr bisher geleistet wurden und entweder auszubezahlen oder im Einverständnis mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter zu kompensieren sind.
Durch Kompensation von Überzeit sinkt dieser Zeit­indikator nicht, da er eben als kumulativer Zeitzähler konstruiert und für das Einhalten der maximal pro Jahr zulässigen Summe vorgesehen ist. Die im laufenden Jahr noch zu kompensierende (oder auszubezahlende) Zeit ergibt sich aus der Differenz des bereits bezogenen Ausgleichs zum Stand dieses Zählers. Damit die Gleichbehandlung von Teilzeitangestellten gegenüber Vollzeitangestellten gewährleistet ist, muss der Grenzwert für das Ausscheiden von Überzeit linear ­heruntergebrochen werden.

Die korrekte Handhabung

Eine finanzielle Entschädigung der Überzeit ist in der Regel weder im Interesse des Arbeitgebers noch der Mitarbeitenden, weshalb Ausgleich in Zeit für beide Seiten die gewinnbringendere Lösung ist.
Für die gemäss Überzeitindikator entstandene Überzeit empfiehlt sich darum eine fortlaufende und in regelmässigen Abständen geplante Kompensation. Mit geplant ist eine in der Dienstplanung explizit vorgesehene, für die Mitarbeiterin und den Mitarbeiter kalkulierbare freie Zeit gemeint. Sie sollte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin abgesprochen werden. Indem diese geplante Kompensation in der Zeiterfassung mit einer entsprechenden Dienstplanikone versehen wird, die beispielsweise [ÜZ] für «Überzeitkompensation» heissen könnte, lässt sich die kompensierte Überzeit erfassen und ausweisen.
Die Summe der zur Abgeltung gewährten Freizeit hat Ende des Jahres gleich hoch wie der Stand des Überzeitindikators zu sein. Ist dies nicht der Fall, verbleibt ein Überzeitguthaben, das noch ausbezahlt oder vielmehr kompensiert werden muss. Ausnahmsweise und in Absprache mit dem Mitarbeitenden kann ein Übertrag auf das neue Jahr für den zeitnahen Ausgleich sinnvoll sein. Nur derart in den Dienstplänen deklarierte Kompensationszeit sollte für den Abbau des zu kompensierenden Überzeitguthabens verwendet werden, sie darf andere Kompensation für beispielsweise vorgeschriebene Ruhetage nicht ersetzen. Da der Überzeitindikator jeweils pro Kalenderjahr neu zu zählen beginnt, empfiehlt sich eine analoge, jährliche Bereinigung und Saldierung der Überzeit und Zeitstände.

Die Folgen

Das regelmässige, gezielte und konsequente Kom­pensieren von Überzeit hat gleich mehrere positive Auswirkungen. Erstens wird die Arbeitsbelastung der Ärztinnen und Ärzte auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von weniger als 50 Stunden pro Woche ­gesenkt. Damit kommt man einer Forderung der Assistenzärzte und Oberärztinnen in den Spitälern nach, die seit Jahren im Raum steht. Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigt zudem stark, wenn ihre Überzeit korrekt abgegolten oder vielmehr kompensiert wird.
Zweitens sparen sich die Spitäler die Lohnzuschläge für die Überzeitabgeltung, und sie müssen sich des Themas der durchschnittlichen täglichen Arbeitszeiten annehmen. Wünschenswert wäre nämlich, Überzeit überhaupt zu vermeiden. Dies kann durch ein konse­quentes Überdenken der Arbeitsabläufe sowie der Arbeitstage und -inhalte erreicht werden. Wenn die ­einzelnen Tage und Dienste nicht bereits am arbeits­gesetzlichen Limit geplant sind, sondern zum Beispiel auf einer 46-Stunden-Planung basieren, und es einen zeitlichen Puffer bis zur Überzeit gibt, wird auch weniger davon entstehen.

Die Empfehlung

Vom laufenden Verrechnen von Überzeitguthaben mit unverschuldet entstandener Minuszeit sollte abgesehen werden, da dies ein aus arbeitsgesetzlicher Sicht nicht korrektes Vorgehen darstellt. Das regelmässige, systematische und konsequente Zuweisen von Kompensation in Form von Freizeit für Überzeit hingegen ist unbedingt zu empfehlen. Die Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte haben nicht nur ein begründetes Anrecht darauf: Die damit einhergehende Wertschätzung verdienen sie ebenso.

Das Wichtigste in Kürze

• Als Überzeit gilt die Arbeitszeit, welche die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche überschreitet. Sie soll nur ausnahmsweise entstehen.
• Überzeit soll laufend und konsequent kompensiert werden. Dabei muss es sich um geplante Freizeit im Einverständnis mit der oder dem Mitarbeitenden handeln.
• Das laufende Verrechnen von Überzeitguthaben mit Minusstunden ist nicht korrekt.

L’essentiel en bref

• Les heures supplémentaires sont définies comme le temps de travail qui dépasse le maximum légal de 50 heures par semaine.
• Les heures supplémentaires doivent être compensées au fur et à mesure et de manière conséquente. Il doit s’agir d’un congé pris de commun accord avec l’employé ou l’employée.
• Compenser systématiquement les heures supplémentaires dues par un solde d’heures négatif n’est pas correct.
Dr. med. Philipp Rahm
Interdisziplinäre ­Notfallstation
Kantonsspital Baden
CH-5404 Baden-Dättwil
philipp.rahm[at]ksb.ch

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