Kommentar zum Beitrag «Genetische Beratung braucht Zeit und Expertise»

Ein neuer Beruf, der Fragen aufwirft

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2022/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20558
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(13):431-432

Affiliations
MS, CGC, Forschungswissenschaftlerin, Labor für Bioethik, Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie, ETH Zürich, und Department of Genetics and Stanford Center for Biomedical Genetics, Stanford School of Medicine, Stanford, USA

Publiziert am 29.03.2022

Der noch wenig bekannte Beruf des genetischen Beraters bzw. der Beraterin in der Schweiz kann laut dem Bericht der Eidgenössischen Kommission für genetische Untersuchungen beim Menschen dazu beitragen, die Betreuung von Patientinnen und Patienten bei genetischen Untersuchungen zu verbessern. Er wirft jedoch auch wichtige Fragen auf. Der vorliegende Kommentar will auf diese Punkte eingehen.
Auch wenn Genetic Counsellors und deren Einsatzmöglichkeiten in der Schweiz noch wenig bekannt sind, gibt es weltweit über 7000 Genetic Counsellors – nachdem der Beruf 1969 in den USA eingeführt wurde. In Europa kamen sie erstmals vor fast 30 Jahren im Vereinigten Königreich zum Einsatz, und heute sind sie bereits in über zehn europäischen Ländern tätig. In den USA gibt es inzwischen mehr als 5000 zertifizierte Genetic Counsellors. Als genetische Beraterin mit über 27 Jahren klinischer Forschungs- und Lehrerfahrung in den USA, als ehemalige Präsidentin der National Society of Genetic Counselors (NSGC) und als Ausbildungsleiterin von zwei US-amerikanischen Masterstudiengängen für Genetic Counsellors hoffe ich, zu den im Bericht angesprochenen Punkten etwas beitragen zu können.
National Cancer Institute / Unsplash

Bessere Gesundheitsversorgung

Erfahrungen im Ausland und die Diskussion in der Fachliteratur zeigen, dass Genetic Counsellors einen wichtigen Beitrag leisten, damit Patientinnen und Pa­tienten positive Erfahrungen mit Gentests und deren Umgang machen. Ihr Einbezug verkürzt die Wartezeiten, bringt in Kliniken, die nicht auf Genetik spezialisiert sind (z.B. Onkologie, Neurologie, Geburtshilfe), genetisches Fachwissen ein und unterstützt Patientinnen und Patienten sowie deren Familienmitglieder psychologisch. Der Beizug von Genetic Counsellors erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass der richtige Test angeordnet wird, die Ergebnisse angemessen interpretiert werden und insgesamt Geld gespart werden kann.

Bedenken gegenüber Genetic Counsellors

Verständlicherweise gibt es bei jedem neuen Beruf in jedem Land Bedenken, wie der Prozess der Qualifikation und Anerkennung ablaufen wird. Dabei können wir aus den gesammelten Erfahrungen, insbesondere unserer französischen und österreichischen Nachbarn, lernen. Eine Sorge, die im Amstad-Bericht zum Ausdruck kommt, ist die Frage, welche Rolle Genetic Counsellors spielen sollen und inwiefern sie sich mit den Fachärztinnen und -ärzten, die Gentests veranlassen, überschneidet. Diese Sorge ist nicht neu und besteht in vielen Ländern. Es ist wichtig, die Rolle und den ­Tätigkeitsbereich von Genetic Counsellors klar und proaktiv zu definieren. Die berufliche Rolle der Genetic Counsellors ist dabei von der Dienstleistung der genetischen Beratung (Genetic Counselling) zu trennen. Die genetische Beratung kann Teil des Tätigkeitsbereichs vieler medizinischer Leistungserbringer sein oder ist es bereits. In den meisten Ländern hat sich die Rolle der Genetic Counsellors in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten entwickelt. Die Aufgaben von Genetic Counsellors und Ärztinnen und Ärzten überschneiden sich teilweise – beide spielen eine Rolle bei der Aufklärung der Patientinnen und Patienten über genetische Tests und Krankheiten sowie bei der Einholung der Einwilligung vor dem Test. Genetic Counsellors stellen jedoch weder Diagnosen, noch behandeln sie genetisch bedingte Krankheiten. Allerdings verfügen sie über eine umfassende Aus­bildung in den Bereichen Beratungspsychologie, Gesundheitsverhalten und Ethik, die es ihnen ­ermöglicht, Patientinnen und Patienten bei der komplexen Entscheidfindung für Gentests zu unterstützen und die Familie nach einem Gentest oder einer neuen Dia­gnose optimal zu unterstützen.

Die Verrechnung der Leistungen

Weitere Bedenken im Bericht betrafen die Frage, wie die genetische Beratung abgerechnet werden kann und wie die Leistung der Genetic Counsellors finanziert wird. Dies ist in den USA seit vielen Jahren ein wichtiges Thema, da Genetic Counsellors von den ­Centers for Medicare and Medicaid Services noch immer nicht als Leistungserbringer anerkannt werden. Bis zur Anerkennung müssen Genetic Counsellors in den USA eine Kombination aus verschiedenen Voraussetzungen erfüllen, um ihre Leistungen verrechnen zu können. Es hat sich auch gezeigt, dass die zunehmende Verfügbarkeit von Genetic Counsellors nachweislich zu mehr Überweisungen und nachgelagerten Ein­nahmen in US-amerikanischen Spitälern und Kliniken ­geführt hat.

Sicherstellung hoher Qualifikationen

In dem Masse, in dem sich der Beruf der Genetic Counsellors in der Schweiz entwickelt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass für Personen, die sich selbst als ­Genetic Counsellors bezeichnen wollen, hohe Standards bezüglich Ausbildung und Qualifikation festgelegt werden. So hat in Frankreich die staatliche Anerkennung der Berufsbezeichnung «conseiller/conseillère en génétique» dazu beigetragen, von Anfang an eine solide Grundlage hinsichtlich den Qualifikationsstandards zu schaffen. Des Weiteren hat das European Board of Medical Genetics (EBMG) Leitlinien für die Akkreditierung von Ausbildungsprogrammen auf ­Masterniveau und die Zertifizierung von Genetic Counsellors in ganz Europa erstellt. Die Schweiz könnte die EBMG-Leitlinien nutzen und/oder eigene Akkreditierungsverfahren entwickeln, wie es viele Länder getan haben. Durch die Akkreditierung und Zertifizierung wird sichergestellt, dass jede Person, die eine Ausbildung in genetischer Beratung absolviert hat und als ­Genetic Counsellor tätig ist, über hohe Kompetenzen verfügt. Wenn in der Schweiz die genetische Beratung ausgeweitet wird, können die Association Suisse des ­Conseillères en Génétique, die Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Genetik, das EBMG und bestehende europäische Ausbildungsprogramme ausgezeich­nete Grundlagen bieten.

Das Wichtigste in Kürze

• Der Bericht der Eidgenössischen Kommission für genetische Untersuchungen beim Menschen zeigt, dass der Beruf des genetischen Beraters in der Schweiz ein grosses Potenzial hat. Es wurden jedoch auch Bedenken geäussert.
• Eine davon betrifft die Rolle der Beraterinnen und Berater, die sich mit der Rolle der Ärztinnen und Ärzte, die Gentests anbieten, überschneiden könnte. Erstere stellen weder Dia­gnosen, noch verwalten oder behandeln sie genetische Krankheiten.
• Eine weitere Sorge betrifft die Abrechnung von genetischen Beratungsdiensten. In den USA, wo genetische Berater noch nicht als Gesundheitsdienstleister anerkannt sind, hängen diese von mehreren Elementen ab, um ihre Leistungen in Rechnung zu stellen.
• Es müssen unbedingt hohe Standards festgelegt werden, um sicherzustellen, dass die Personen, die diesen Beruf für sich beanspruchen, über die entsprechende Ausbildung und Qualifikation verfügen.
kelly.ormond[at]hest.ethz.ch