Pandemie und Reformen setzen den Universitätsspitälern zu

Tribüne
Ausgabe
2022/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20823
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(2122):746-747

Affiliations
Freie Journalistin

Publiziert am 24.05.2022

Die fünf Universitätsspitäler trugen den Hauptanteil bei der Bewältigung der ­Corona-Pandemie in der Schweiz. Das hinterlässt Spuren beim Personal und bei den Finanzen, wie die Direktionen kürzlich an einer Medienkonferenz darlegten. Die Abgeltung besonderer Leistungen dürfe in den laufenden Gesundheitsreformen nicht gefährdet werden, warnten sie.
Die Schweiz im Mai 2022: Die Pandemie ist für grosse Teile der Bevölkerung in den Hintergrund gerückt. Auch in den Universitätsspitälern in Bern, Basel, Zürich, Genf und Lausanne herrscht nicht mehr Not­betrieb. Kürzlich habe er am Morgen die Meldung ­erhalten, dass erstmals kein Covid-Patient auf der Intensivstation liege, erzählte der Direktionspräsident der Berner Insel-Gruppe, Uwe E. Jocham, an der Medienkonferenz vom 12. Mai. Doch schon am Nachmittag habe sich das wieder geändert, fügte Jocham an und stellte fest: «Wir sind mit der Pandemie noch nicht am Ende.» Trotzdem zogen er und vier weitere Direktionsmitglieder der Universitätsspitäler gemeinsam Bilanz aus zwei Jahren Pandemie.
Dabei strichen sie die zentrale Rolle ihrer Häuser bei der Bewältigung dieser grössten Herausforderung für das Schweizer Gesundheitswesen seit Jahrzehnten ­heraus. 21 890 COVID-19-Patientinnen und -Patienten behandelten die fünf Universitätsspitäler zwischen ­Januar 2020 und April 2022 stationär, davon 3362 auf der Intensivstation und weitere 3861 auf der Intermediate Care. Sie kümmerten sich somit um fast 42 Prozent ­aller Covid-Kranken, die ins Spital mussten. Besonders bei der Betreuung der Menschen, die Intensivpflege brauchten, wäre die Pandemie ohne die Universitätsspitäler nicht zu bewältigen gewesen, lautete der Tenor.
Hai Huy Ton That | Dreamstime.com

Der ECMO-Rekord

Denn da seien neben der Grösse auch die spezialisierten Fachkenntnisse und die moderne Infrastruktur zum Tragen gekommen. Acht Wochen lang wurde ein ins Berner Inselspital verlegter Covid-Patient über die ECMO beatmet, jene künstliche Lunge, die das Blut aus­serhalb des Körpers mit Sauerstoff befüllt. Es war eine der längsten solchen Beatmungen schweizweit, und sie war erfolgreich: der erst fünfzigjährige Patient überlebte. Dazu kam das in den Universitätsspitälern erarbeitete Wissen. In den zwei Jahren lancierten die fünf Spitäler rund 350 Forschungsprojekte zu Corona, und sie publizierten rund 2000 Fachartikel. Ausserdem führten sie über 1,5 Millionen Tests und 761 000 Impfungen durch.
Dass die Pandemie das Spitalpersonal ausserordentlich forderte, ist bekannt. Wie vielschichtig die Belastung war, zeigte Katja Bruni auf, stellvertretende Spitalchefin und Direktorin Pflege des Universitätsspitals Zürich. Zum Umgang mit den vielen Schwerkranken und Sterbenden kamen die Angst vor eigener Ansteckung, das Auffangen von Personalausfällen im Team und private Situationen. Auch die Triage war ein Faktor. Bruni meinte damit den Umstand, dass Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen phasenweise nicht aufgenommen werden konnten: «Das Verantwortungsempfinden für Patienten auf der Warteliste war gross.»

Ungedeckter Covid-Verlust

Bertrand Levrat, Direktor des Universitätsspitals Genf, griff zu einem eingängigen Vergleich. Die drei heftigsten Pandemiewellen führten zu steil aufragenden, exponentiell verlaufenden Kurven der Covid-Eintritte in seinem Spital. Für das Personal habe sich das so angefühlt, «als müsste es nach einem Marathon noch den Mont Blanc und daraufhin den Mount Everest besteigen». Müdigkeit und Erschöpfung seien verbreitet spürbar, so die Spitalchefs unisono. Es drohe ein Personalverlust von 10 bis 15 Prozent, vor allem in der Pflege. Die vom Volk angenommene Pflegeinitiative werde zwar stärkende Impulse geben, aber bei den Anstellungsbedingungen auch etwas kosten. Im Moment sei niemand bereit, diesen Preis zu bezahlen. ­Genügend Fachkräfte zu rekrutieren, werde «eine schwierige Herausforderung».
Nicht nur beim Spitalpersonal hinterlässt die Pandemie Spuren, auch betriebswirtschaftlich. Der Covid-spezifische Mehraufwand für Personal und Sachkosten betrug über alle fünf Universitätsspitäler 352 Millionen Franken. Dazu kam der Ertragsausfall im stationären Bereich wegen verschobener Operationen in den Jahren 2020 und 2021 in der Höhe von insgesamt 250 Millionen Franken. Vom kumulierten Betriebsverlust in der Höhe von 621 Millionen Franken glichen die Standortkantone insgesamt 541 Millionen aus. Dennoch verbleibt ein kumulierter Verlust von 80 Millionen Franken, wie die Spitäler errechneten.

«Alle unter Wasser»

Und damit waren die Verantwortlichen beim zweiten Teil ihrer Botschaft an die Öffentlichkeit angelangt. Denn der resultierende Covid-Verlust ist in ihren Augen symptomatisch für ihre Situation. So war es laut dem Direktor des Universitätsspitals Basel, Werner Kübler, eine «klassische Leistung der Universitätsspitäler», die neue Krankheit COVID-19 verstehen zu lernen und das Wissen solidarisch an kleinere Spitäler in den Regionen weiterzugeben. Das sei ungenügend abgegolten worden.
Der Direktor des Universitätsspitals in Lausanne, Phi­lippe Eckert, nannte weitere Punkte. Die Zentrums­spitäler erbrächten Vorhalteleistungen wie das Bereitstellen der spezifischen Infrastruktur rund um die Uhr. Sie seien für die komplexesten und aufwendigsten Fälle da, in der Pandemie und auch sonst.
«Wir sind die Garanten für eine qualitativ hochstehende Versorgung auch in Krisensituationen», so Inselgruppe-Direktor Uwe Jocham. Doch das werde von der Verwaltung und der Politik zu wenig anerkannt. Vor der Pandemie waren zwei Universitätsspitäler bei der Kostendeckung in der Grundversicherung im grünen Bereich. «Inzwischen sind wir dort alle unter Wasser», gab Werner Kübler vom Universitätsspital Basel bekannt. Mit Blick auf laufende, heiss umstrittene ­Gesundheitsreformen schwant den Spitalchefs nichts Gutes. Die Kostenbremse-Initiative und der bundesrätliche Gegenvorschlag dazu, die mögliche neue ambulante Tarifstruktur Tardoc, der Druck der Krankenversicherer auf die Fallpauschalen – all das drohe je nach Ergebnis, die Lage der Universitätsspitäler weiter zu verschärfen.

Sonderstellung wahren

Doch warum sollen die Universitätsspitäler von den Sparbemühungen im Gesundheitswesen ausgenommen werden, zumal für nächstes Jahr eine markante Prämienerhöhung erwartet wird? Immerhin schafften es das Universitätsspital Basel und die Berner Inselgruppe 2021 trotz Pandemie, schwarze Zahlen ­zuschreiben. Das zeige doch gerade, dass man sich nicht gegen Effizienzsteigerungen wehre, wurde betont. «Es geht uns darum, für unsere Leistungen fair und korrekt bezahlt zu werden und Investitionen für die Zukunft selber zu erwirtschaften», erklärte Insel-Direktor Uwe Jocham. Die Sonderstellung der Universitätsspitäler als wichtigste medizinische Kompetenzzentren der Schweiz müsse gewahrt bleiben, auch im Tarifsystem. Sonst drohten Leistungskürzungen, die die Bevölkerung spüren würde.
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