Wie geht's weiter?

Organisationen
Ausgabe
2022/44
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21040
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(44):29-30

Affiliations
a lic.rer.soc., Head of Communciations, Swisstransplant, Bern; b M.A. in Philosophy, Head of Staff, Swisstransplant, Bern; c PD Dr. med., CEO Swisstransplant, Facharzt Herz- und thorakale Gefässchirurgie, Swisstransplant, Bern

Publiziert am 01.11.2022

TransplantationsgesetzIm Mai hat das Schweizer Stimmvolk den Wechsel von der heute geltenden erweiterten Zustimmungslösung zur erweiterten Widerspruchslösung beschlossen. Was bedeutet das Resultat und was sind die nächsten Schritte? Wir geben Antworten auf die neun wichtigsten Fragen.

1. Welche Regelung ist heute in Kraft?

Bis das neue, vom Volk beschlossene Gesetz in Kraft tritt, gilt das bisherige Modell, die erweiterte Zustimmungslösung: Organe oder Gewebe dürfen nur entnommen werden, wenn die Einwilligung der verstorbenen Person vorliegt. Besteht keine Willensäusserung, müssen die nächsten Angehörigen im mutmasslichen Willen der verstorbenen Person über eine Organspende bestimmen. Ist der Wille nicht bekannt, entscheiden sich Angehörige in 4 von 5 Fällen gegen die Organspende.

2. Was ist der Kern der neuen Regelung?

Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, muss dies künftig festhalten. Liegt kein Entscheid vor, so wird davon ausgegangen, dass die verstorbene Person mit der Organspende einverstanden wäre. Die Angehörigen können einer Organentnahme widersprechen, falls sie Kenntnis davon haben, dass die verstorbene Person ihre Organe nicht hätte spenden wollen. Ist kein Wille dokumentiert und sind die Angehörigen nicht erreichbar, dürfen keine Organe entnommen werden. In den meisten Ländern Europas gilt die Widerspruchslösung.

3. Wann tritt die neue Regelung in Kraft?

Federführend bei der Umsetzung des neuen Gesetzes ist das Departement des Innern mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Die Einführung der erweiterten Widerspruchslösung erfolgt gemäss Webseite BAG frühestens im Jahr 2025.

4. Was soll mit dem Systemwechsel erreicht werden?

Mit dem Systemwechsel werden mehrere Ziele erreichbar: die grundsätzliche Erhöhung der Anzahl und Verfügbarkeit von Organen; die bessere Chance für Menschen auf der Warteliste, rechtzeitig ein Organ zu erhalten; die Verbesserung der Gesundheit und der Lebensqualität der Menschen, die auf ein gespendetes Organ angewiesen sind; die Entlastung der Angehörigen von schwierigen Entscheidungen und die Senkung der Gesundheitskosten, weil Transplantationen im Vergleich zu verfügbaren Alternativbehandlungen langfristig die kostengünstigere Option darstellen.

5. Welche Arbeiten kommen auf die zuständigen Behörden zu?

Nach der Annahme eines Gesetzes werden in einem ersten Schritt immer die Details zur Umsetzung im Verordnungsrecht geregelt. Das neue Transplantationsgesetz beschreibt ein nationales Register unter Verantwortung des Bundesrats, in dem ein Ja oder Nein zur Organspende eingetragen werden kann und auf das die Verantwortlichen in den Spitälern zugreifen können. Artikel 61 des geltenden Gesetzes beschreibt als eine Informationsaufgabe des BAG und der Kantone, die Öffentlichkeit über die gesetzliche Regelung und Praxis zu informieren.

6. Was kommt auf Swisstransplant und die Fachpersonen Organ- und Gewebespende in den Spitälern zu?

Swisstransplant spürt von vielen Seiten Unsicherheit, wann und wie die neue Regelung dereinst eingeführt wird. In der Zwischenphase bis zur Einführung kommt deshalb der Aufklärung eine besondere Bedeutung zu. Sobald sich die Inkraftsetzung abzeichnet, werden die bereits jetzt auf Angehörigengespräche geschulten Fachpersonen Organ- und Gewebespende in Workshops auf die neuen Gegebenheiten vorbereitet.

7. Wie kann der Spendewillen heute festgehalten werden?

Swisstransplant empfiehlt, den Entscheid zur Organ- und Gewebespende den Angehörigen zu kommunizieren, damit diese im Bild sind und ihn zusätzlich auf einer Organspende-Karte und/oder Patientenverfügung festzuhalten. Diese Willensäusserungen werden auch nach Einführung des neuen nationalen Registers berücksichtigt.

8. Was passiert mit dem Organspenderegister von Swisstransplant?

Swisstransplant hat sein im Jahr 2018 lanciertes Organspenderegister am 20. Oktober 2022 eingestellt. Abfragen durch die Spitäler sind seither nicht mehr möglich. Personen mit Registereintrag wurden zeitnah über mögliche Alternativen informiert, ihren Entscheid zu dokumentieren.
Swisstransplant-Direktor Franz Immer gibt am Abstimmungssonntag Interviews.
© Swisstransplant

9. Wer hat für und wer hat gegen das neue Gesetz gestimmt?

Die Nachbefragung zur Abstimmung von gfs.bern zeigt folgendes Bild: «Kaum eine Subgruppe des Stimmvolks hat mehrheitlich Nein zum Transplantationsgesetz gesagt. Je weiter links jemand sich politisch verortet, desto klarer hat er oder sie Ja gestimmt. Ebenfalls hat Ja gestimmt, wer der Wissenschaft, dem BAG, der Schulmedizin und Chirurgen sowie Chirurginnen vertraut. Für sie ist klar, dass die Widerspruchslösung Leben retten wird und die Angehörigen entlastet werden, da sie nicht mehr entscheiden müssen. Die Nein-Stimmenden verorten sich mehrheitlich rechtsaussen. [ …] Ihnen ist das Recht auf einen unversehrten Körper zentral und dass der Staat sich nicht in die Organspende einmischen soll.» [1]
Die Abstimmungsstatistik des Bundesamts für Statistik (BFS) [2] zeigt zudem, dass nur in der deutschen Schweiz ein Stadt-Land-Graben beobachtet werden kann.
Tabelle: Änderung des Transplantationsgesetzes (Ja in %)
Stadt/LandDeutsche SchweizFranzösische SchweizItalienische SchweizSchweiz
Städtisch
Kernstadt61.578.466.265.2
Übriger städtischer Raum54.078.965.259.5
Intermediär51.478.865.757.6
Ländlich49.477.764.756.9
Total54.578.765.660.2
Weitere Informationen: www.swisstransplant.org / Quelle: BFS/Abstimmungsstatistik
Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, muss dies künftig festhalten.
© Swisstransplant
stephanie.balliana[at]swisstransplant.org
1 GFS Bern: VOX-Analyse Mai 2022. Nachbefragung und Analyse zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 15. Mai 2022, Juni 2022, S. 4f.
2 Bundesamt für Statistik (BFS): Änderung des Transplantationsgesetzes, online unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/politik/abstimmungen/jahr-2022/2022-05-15/transplantationsgesetz.html [30.08.2022]