Von Newton lernen

Editorial
Ausgabe
2022/45
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21233
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(45):3

Publiziert am 09.11.2022

Kennen Sie Newton? Nein, nicht den Physiker, sondern Newton von der Firma Apple. Das Gerät, entwickelt in den 1990ern, war ein sogenannter Personal Digital Assistant (PDA). Newton sollte den Arbeitsalltag seiner Anwenderinnen und Anwender erleichtern und effizienter gestalten, indem man Termine, Notizen, Kontakte darin eintrug. Für damalige Verhältnisse sensationell war, dass man mit einem Stift auf einem berührungsempfindlichen Bildschirm schreiben konnte und die geschriebenen Wörter von dem Taschencomputer erkannt wurden.
Dass der PDA kaum in eine normale Jackentasche passte und relativ viel wog – geschenkt. Schlimmer war, dass die Kernfunktion mehr schlecht als recht funktionierte. Die Handschrift wurde nur teilweise erkannt, und so geriet das „Killerfeature“ zur Peinlichkeit. Statt eine digitale Revolution auszulösen, endete Newton auf dem Schrotthaufen der Technikgeschichte.
Mich erinnert das elektronische Patientendossier (EPD) an Newton. Hörte man vor der Lancierung im vergangenen Jahr Fachleute darüber reden, schien sich mit dem EPD nichts Geringeres als die digitale Revolution in der Medizin anzubahnen. Die medizinische Behandlung sollte effizienter, die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten gestärkt und der administrative Aufwand geringer werden. Die Revolution blieb aus. Gerade mal 1,1 Promille der Schweizer Bevölkerung besitzt eines, wie unsere Titelstory ab Seite 16 zeigt. Apple zog aus seinem Newton-Abenteuer die nötigen Lehren. Jahre später brachte das Unternehmen das iPhone und das iPad auf den Markt. Sie waren nicht nur Kassenschlager – die Devices haben unsere Lebensweise nachhaltig verändert.
Wir sollten das jetzige EPD als einen Zwischenschritt ansehen, als Brücke in eine Zukunft mit innovativen, nutzerfreundlicheren und effizienteren digitalen Lösungen für die Verwaltung behandlungsrelevanter Daten. Dafür sollten wir aus den Unzulänglichkeiten des heutigen Systems lernen und die aktuellen Schwächen in künftige Stärken wandeln.
Matchentscheidend wird sein, wie die Ärzteschaft in die Weiterentwicklung des EPDs miteinbezogen wird. Je tiefer die Zusammenarbeit reichen wird, desto besser. Erst dann wird das EPD Erfolg haben, sein Nutzerversprechen einlösen und das Tor zu einer besseren medizinischen Behandlung aufstossen.
George Sarpong
Leitender Chefredaktor EMH Schweizerischer Ärzteverlag
george.sarpong[at]emh.ch