Es geht immer um Kommunikation

Es geht immer um Kommunikation

Interview
Ausgabe
2023/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.1276954154
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(47):16-20-

Publiziert am 22.11.2023

Wissensvermittlung
Der Geriater Mathias Schlögl hat zum dritten Mal in Folge den SIWF-Award für besonderes Engagement in der Weiterbildung erhalten. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie Weiterbildung gelingt, wie sie in Zukunft aussehen könnte und wie er die junge Medizinergeneration erlebt.
Herzlichen Glückwunsch zum dritten SIWF-Award, Mathias Schlögl. Was ist Ihr Geheimnis?
«Keep it simple» – die Lehre darf nicht abgehoben oder zu abstrakt sein. Mein Ziel ist es, die jungen Kolleginnen und Kollegen genau dort abzuholen, wo sie stehen und zu schauen, was sie brauchen, um weiterzukommen. In meinen Vorträgen geht es oft um Geschichten, die das Herz berühren – und damit hoffentlich besser im Gedächtnis bleiben.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Vor einigen Monaten fragte ich einen Patienten nach seinem Ziel für die Rehabilitation. Er erklärte mir, dass er unbedingt 1200 Meter laufen können müsse. Als ich ihn nach dem Grund für diese spezielle Distanz fragte, antwortete er: «Das Grab meiner Frau liegt 600 Meter von meinem Haus bergab entfernt. Seit über zehn Jahren gehe ich täglich zu ihr, 600 Meter bergab und dann wieder 600 Meter bergauf. Wenn ich nach den drei Wochen Rehabilitation diese Strecke wieder bewältigen kann, habe ich mein Ziel erreicht.» Diese Geschichten berühren mich zutiefst und zeigen, wie viel wir als Geriater aus den persönlichen Erlebnissen unserer Patienten lernen können.
Sie halten pro Jahr etwa 30 bis 40 Vorträge und Seminare. Wie bereiten Sie sich vor?
Manche Themenbereiche sind mir so vertraut, dass ich darüber sprechen kann, ohne mich umfangreich darauf vorzubereiten. Doch ich wähle auch gezielt Themen, die ausserhalb meines Expertenwissens liegen. Es reizt mich, meine Komfortzone zu verlassen und mich neuen Herausforderungen zu stellen. Nach jeder Präsentation nehme ich Anpassungen an den Passagen vor, die Verbesserungspotenzial aufweisen, und beziehe dabei das Feedback des Publikums mit ein.

«Nach meiner Erfahrung hat die Lehre in den USA einen höheren Stellenwert als in Europa. Dementsprechend sind die Ressourcen dafür auch höher.»

Sie haben in Deutschland Medizin studiert und danach kontinuierlich Weiterbildungen absolviert, unter anderem in den Fachbereichen Palliativmedizin und Public Health in den USA und General Management an der Universität St. Gallen. Gibt es Unterschiede zwischen der Lehre in Deutschland, der Schweiz und den USA?
Nach meiner Erfahrung hat die Lehre in den USA einen höheren Stellenwert als in Europa. Dementsprechend sind die Ressourcen dafür auch höher. Ärztinnen und Ärzte lehren dort nicht einfach so nebenher – die hochqualitative Lehre ist eine ihrer Hauptaufgaben und sie werden auch dafür bewertet. In den USA gilt das Credo: «Lehren muss man lernen, es ist ein Handwerk.»
Und wo lernen Sie dieses Handwerk?
Ich habe verschiedene Quellen, aus denen ich mein Wissen ziehe. Einerseits verspüre ich eine kindliche Begeisterung für das Neue und strebe stets danach, meine Fähigkeiten kontinuierlich zu verbessern, besonders wenn es um Kommunikation geht. Andererseits profitiere ich auch vom Wissen anderer Experten in unterschiedlichen Gebieten. So zum Beispiel gewinne ich wertvolle Einsichten aus den Präsentationstechniken von Persönlichkeiten wie Steve Jobs. Den stärksten Einfluss jedoch hatten die Kurse über das Überbringen schlechter Nachrichten während meines Medizinstudiums in Erlangen auf mich.
Was haben Sie aus den Kursen mitgenommen?
Stellen Sie sich vor, ein Patient erhält eine Krebsdiagnose. Selbst für erfahrene Ärztinnen und Ärzte ist es nicht immer einfach, solche Nachrichten so zu übermitteln, dass der Patient die Information nicht nur versteht, sondern sich auch emotional aufgefangen fühlt. In dem Kurs übernahm ich zu Beginn die Rolle des Simulationspatienten, was mir einen besseren Einblick in die Erfahrungswelt der Patienten ermöglichte. Diese Perspektive war äusserst aufschlussreich und bildete die Grundlage für mein späteres Verständnis in der Kommunikation schwieriger Nachrichten. Seither leite ich selbst interprofessionelle Kurse, in denen ich mein erworbenes Wissen und meine Erfahrungen im Überbringen schlechter Nachrichten an Ärztinnen, Ärzte sowie Pflegepersonal weitergebe.
Professionelle Kommunikation ist also ein Schlüsselelement?
Absolut. Die zentrale Erkenntnis, die ich aus meinem Studium gezogen habe, ist die Bedeutung der Kommunikation. Ich ziehe oft den Vergleich zum Tanzen heran: Während die einen Cha-Cha-Cha bevorzugen und andere sich für Samba begeistern, geht es doch letztlich darum, das Miteinander-Tanzen – oder in unserem Fall das professionelle Kommunizieren – zu perfektionieren. Genau wie professionelle Tänzer bis zu acht Stunden täglich trainieren, dürfen auch wir in der Medizin das Kommunizieren als eine Fähigkeit begreifen, die intensives und kontinuierliches Training erfordert.

«Ich will eine Haltung vermitteln, die dazu anregt, das grosse Ganze zu sehen. Es geht darum, über den Tellerrand hinauszublicken.»

Aber Kommunikation braucht Zeit.
Ja. Und eine gute Vorbereitung! Nehmen wir das Beispiel eines Piloten, der eine Boeing 777 nach Los Angeles fliegt. Er fliegt nicht einfach los, sondern widmet sich zuerst einem gründlichen Briefing. Dieser Schritt ist wichtig, um ihn und seine Crew sorgfältig auf die bevorstehende Reise vorzubereiten. Ähnlich sollten auch wir als Ärztinnen und Ärzte die Zeit, die wir uns für Kommunikation nehmen, bewusst und achtsam nutzen. Bevor wir also das Patientenzimmer betreten, ist es entscheidend, einen Moment innezuhalten, um sich mental vorzubereiten. So können wir gewährleisten, dass unsere Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten nicht nur informativ, sondern auch empathisch und unterstützend ist.
Mathias Schlögl sieht Weiterbildungen nicht als blosse «professionelle Verpflichtung» sondern als Kernbestandteil in der geriatrischen Versorgung.
© Nicolas Zonvi
Welche Bedeutung hat Weiterbildung speziell in der Geriatrie?
In der Geriatrie reicht es nicht aus, sich auf das grundlegende Wissen der Inneren Medizin und der Geriatrie zu stützen. Unsere Patientinnen und Patienten bringen oft komplexe, multifaktorielle Gesundheitsprobleme mit, die ein umfassendes Verständnis und eine stetige Weiterbildung in spezialisierten Bereichen wie Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Palliativmedizin erfordern. Nur durch fortwährende Bildung können wir sicherstellen, dass wir die bestmögliche Versorgung bieten und gleichzeitig auf die sich ständig ändernden Bedürfnisse unserer älteren Patientinnen und Patienten reagieren können. Weiterbildung ist somit nicht nur eine professionelle Verpflichtung, sondern auch ein Kernbestandteil unseres Engagements für Exzellenz in der geriatrischen Versorgung.
Seit diesem Jahr gibt es auf der Barmelweid eine Seminarreihe für Geriatrie, die Sie lanciert haben [1]. Worum geht es dabei?
In unserer Seminarreihe präsentieren über das Jahr verteilt 50 anerkannte nationale und internationale Experten aktuelle Themen der Altersmedizin. Die Teilnahme ist kostenlos und dank des hybriden Formats überall möglich. Unser Ziel ist es, neueste Forschungsergebnisse direkt in die Praxis umzusetzen und dabei Kernbereiche wie Prävention, Diagnostik, Behandlung und Nachsorge abzudecken. Doch auch Ethik, Patientenorientierung und Qualitätsmanagement gehören zum Programm.
Haben Sie ein Vorbild?
In meiner ersten Vorlesung als Medizinstudent sagte ein emeritierter Professor: «Ich habe in meinem Leben schon viele Ärztinnen und Ärzte gesehen – auch gute!» Er erklärte, dass reines Wissen allein nicht ausreicht, um ein guter Arzt zu sein. Neben der Beziehung zu den Patientinnen und Patienten sind es Werte wie Anteilnahme, Menschlichkeit und Intuition, die einen guten Arzt ausmachen. Diese Worte prägten mich. Mein Ziel ist es, nicht einfach «Arzt» zu sein, sondern ein «guter Arzt».

«Die nächste Medizinergeneration will ernst genommen werden und sie will ein Feedback, das wertschätzend und konstruktiv ist.»

Wie können Sie das Ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen vermitteln?
Ich will eine Haltung vermitteln, die dazu anregt, das grosse Ganze zu sehen. Es geht darum, über den Tellerrand hinauszublicken und tieferliegende Ursachen und Zusammenhänge zu verstehen, anstatt sich nur auf die oberflächliche Behandlung zu konzentrieren. Heute beispielsweise wurde ein Patient aufgenommen, der vor kurzem zweimal gestürzt ist. Ich habe zu meinen jungen Kolleginnen und Kollegen gesagt: «Wir stehen vor der Wahl, ihm Standardmedizin oder exzellente Medizin zu bieten.» Standardmedizin würde bedeuten, dass wir den Patienten während seines dreiwöchigen Aufenthalts rehabilitieren. Exzellente Medizin hingegen bedeutet, den Ursachen seiner Stürze auf den Grund zu gehen und Strategien zu entwickeln, um weitere Stürze zu verhindern.
Wie erleben Sie die nächste Medizinergeneration?
Als interessiert und kompetent. Es ist wichtig, dass man mit ihnen auf Augenhöhe kommuniziert und sie dort abholt, wo sie stehen. Sie wollen ernst genommen werden und sie wollen ein Feedback, das wertschätzend und konstruktiv ist – und das ist auch gut so.
Wie würde für Sie eine ideale Weiterbildung aussehen?
Ich stelle mir eine Welt vor, in der jeder, unabhängig von seinem Wohnort oder finanziellen Möglichkeiten, Zugriff auf erstklassige medizinische Bildung hat. Diese Bildung sollte massgeschneidert sein und die einzigartigen Stärken, Schwächen und Interessen jedes Einzelnen berücksichtigen. Hier könnten Systeme mit künstlicher Intelligenz zum Einsatz kommen, um individuelle Lernpfade zu entwickeln, die auf jeden Lernenden zugeschnitten sind.
Gibt es auch schlechte Weiterbildung?
Nein. Es gibt immer etwas, das man lernen kann. Ich selbst nehme an den unterschiedlichsten Weiterbildungen teil, nicht nur zu Themen der Geriatrie. Natürlich ist nicht jede Weiterbildung gleich tiefgreifend, aber ich habe danach neues Wissen, das ich in meine geriatrische Arbeit integrieren kann.
Und das Sie auch weitergeben können.
Genau. Und zwar gerade als Geriater. Meine Patienten sind doppelt so alt wie ich. Ich muss ihnen nicht erklären, wie die Welt funktioniert. Aber je voller der Rucksack ist, je mehr Lebenserfahrung ich habe, desto wohler fühle ich mich im Umgang mit den Seniorinnen und Senioren. Und ich glaube, das spüren sie auch.
SIWF-Award

Exzellenz in der ärztlichen Weiterbildung

Das Schweizerische Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF hat 2014 ein Pilotprojekt zur Auszeichnung von besonders engagierten Weiterbildungsverantwortlichen lanciert. Aufgrund des Erfolgs ist die Verleihung des SIWF-Awards für exzellente Weiterbildung fester Bestandteil in der Agenda des SIWF geworden: Kompetente Weiterbildungsverantwortliche erhalten mit dem Preis eine entsprechende Anerkennung für ihre Arbeit. Ihnen kommt in der ärztlichen Weiterbildung eine zentrale Rolle zu, damit Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung eine qualitativ hochstehende strukturierte Weiterbildung erhalten und nicht nur zufälligerweise in Sinne von «learning by doing» durch die klinische Erfahrung lernen. Im Rahmen der Reform der ärztlichen Weiterbildung in der Schweiz zu einer kompetenzbasierten Bildung werden kompetente Weiterbildende, die eine Zusatzkompetenz in medizinischer Bildung und ein hohes Engagement für die Weiterbildung ihrer «Juniors» haben, noch wichtiger.
Ärztinnen und Ärzte, die zurzeit in der Weiterbildung zu einem Facharzttitel oder privatrechtlichen Schwerpunkt stehen oder welche vor weniger als einem Jahr den Facharzttitel erworben haben, konnten bis am 31. Juli 2023 ihre ehemaligen Weiterbildungsverantwortlichen für den SIWF-Award für besonderes Engagement nominieren. Die Geschäftsleitung des SIWF hat die eingegangenen Nominationen auf ihre formelle Gültigkeit überprüft und konnte insgesamt 22 ärztlichen Weiterbildungsverantwortlichen sowie 4 Weiterbildungsteams den SIWF-Award für besonderes Engagement verleihen.
Auf der Website des SIWF finden Sie viele weitere Informationen zu den erwähnten Themen: