Am Kongress der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft von 1988 stritten sich der deutsche Soziologe Niklas Luhmann und der Rechts- und Politikwissenschaftler Fritz W. Scharpf über die Möglichkeiten und Grenzen von politischer Steuerung. Scharpf war der Optimist, Luhmann der Pessimist. Gemäss Luhmann kann durch die Selbstorganisation eines Systems (zum Beispiel des Gesundheitswesens), dieses von einem anderen System (zum Beispiel Politik) nur sehr bedingt gesteuert werden. Häufig treten nicht intendierte Wirkungen auf bis hin zur Umkehrung der beabsichtigten Ziele. Scharpf sah das anders und war überzeugt, dass sogar theoretisch eine Steuerung möglich sei. Diesen Optimismus relativierte er dreissig Jahre später in einem Interview. Nicht weil er die theoretischen Überlegungen Luhmanns akzeptierte, sondern weil er sah, dass die Globalisierung und die offenen Grenzen die politische Steuerung in einem Land viel schwieriger machen. Der Soziologe Helmut Willke hat in der Folge eine Synthese versucht und im Geiste Luhmanns die Position weiterentwickelt. Willke geht davon aus, dass staatliche Steuerungskompetenzen vorhanden sind, durch die Komplexität moderner Gesellschaften allerdings beschränkt werden. Besonders die systemtheoretischen Kerntheoreme von
Autopoiesis [13] und
operativer Geschlossenheit [14] erschweren die Einwirkung über Systemgrenzen hinweg, sodass Steuerungsleistung laut Willke vornehmlich daraus entsteht, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass andere Systeme diese als handlungsstimulierend aufgreifen (Kontextsteuerung). Mikroregulierung kann deshalb offensichtlich nicht funktionieren. Luhmann hatte recht. Das ist nicht überraschend, denn während Luhmann ein Klassiker der Soziologie des 20. Jahrhunderts wurde, kennt Fritz W. Scharpf heute niemand mehr.