Auf den Punkt

Nicht mehr kriminell?

News
Ausgabe
2023/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21521
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(06):8-9

Publiziert am 08.02.2023

AbtreibungenEine Parlamentarische Initiative will die Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch streichen, um Abbrüche zu entkriminalisieren. Was die Initiantin fordert, was die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats dazu sagt – und weshalb das Vorhaben nicht weit genug geht.
Es ist geradezu paradox: Jede Frau in der Schweiz hat das Recht, ihre Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen abzubrechen – bei einer schweren körperlichen Schädigung oder einer gravierenden seelischen Notlage, die von der Ärztin oder dem Arzt bestätigt wird, auch darüber hinaus. Doch sobald sie dieses Recht in Anspruch nimmt, begeht sie eine Straftat. Denn die Möglichkeit, die Schwangerschaft straffrei zu beenden, ist im Strafgesetzbuch geregelt.
Am 2. Februar beriet die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats über die Parlamentarische Initiative «Eine Abtreibung sollte in erster Linie als eine Frage der Gesundheit betrachtet werden und nicht als Strafsache» [1]. Darin fordert Léonore Porchet (Grüne Partei der Schweiz), die Artikel betreffend den Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch aufzuheben. In ihrer Begründung bezieht sie sich auf die Forderungen der Weltgesundheitsorganisation WHO und schreibt: «Für eine vollständige Entkriminalisierung der Abtreibung müssen jegliche Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafrecht gestrichen werden.» Porchet verlangt, die bisherige Regelung «in einem Spezialgesetz oder in einem Gesetz über die sexuelle Gesundheit im weiteren Sinne oder im Bereich der öffentlichen Gesundheit» zu verankern. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass das nicht nötig sei und argumentiert [2]: «In den Augen der Kommission besteht kein Handlungsbedarf, zumal es ihres Wissens in der Schweiz seit rund zwanzig Jahren im Zusammenhang mit einer Abtreibung keine strafrechtliche Verfolgung mehr gab.»

Was nicht zur Sprache kommt

Auch aus ganz anderen Gründen gibt es Zweifel an der Initiative. Die zwölfwöchige Frist und den aktuellen Umgang mit späteren Abbrüchen in der Schweiz stellt die Politikerin in ihrem Initiativtext nämlich nicht in Frage.
Andrea Büchler, Juristin, begrüsst eine Entkriminalisierung, gibt aber zu bedenken, dass man auch über die Frist sprechen müsste. «Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat die Schweiz eine kurze Frist», sagt die Juristin. Innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode kann die Frau hierzulande frei entscheiden, die Schwangerschaft zu beenden. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Frist bei 14 Wochen. In Österreich bei 16. In Schweden bei 18. In den Niederlanden bei 24 Wochen nach der letzten Periode. «Der frühe Schwangerschaftsabbruch scheint in der Schweiz gewährleistet», sagt die Juristin. Will aber eine Frau einen späteren Abbruch vornehmen lassen, gebe es einige Hürden. Betroffen sind jährlich rund 500 Frauen [3].
Wenn Frauen ihr Kind abtreiben möchten, ist das grundsätzlich eine Straftat – die aber unter gewissen Umständen straffrei ist.
© Elia Pellegrini / Unsplash

Herausforderung späte Abbrüche

Vor allem der Umgang mit Abbrüchen im späteren Verlauf der Schwangerschaft wirft Fragen auf. Das zeigt eine Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK) aus dem Jahr 2018. Unter dem Titel «Zur Praxis des Abbruchs im späteren Verlauf der Schwangerschaft» hat die NEK ethische Erwägungen und Empfehlungen veröffentlicht. Darin beschreibt die Kommission die Situation für die betroffenen Frauen wie folgt [4]: «Je nach Region ist der Zugang zu solchen Abbrüchen erschwert, einzelne Kliniken führen dagegen überproportional viele solcher Eingriffe durch. Zum Teil werden Frauen professionell unterstützt, teilweise sind die Begleitungs- und Betreuungsangebote aber auch ungenügend koordiniert oder bestehen nicht kontinuierlich über alle Prozessphasen vor und nach der Geburt hinweg.» Eine Forderung der NEK lautet [5]: «Dass die kantonalen Gesundheitsämter sicherstellen, […] dass die Versorgungsqualität (vor, während und nach dem Abbruch) überall gleichwertig ist, um eine zu grosse Konzentration von Fällen in bestimmten Kliniken oder eine ausserkantonale Behandlung zu vermeiden; […].»
Die Thematik ist also vielschichtig. Die bisherige Regelung ohne weitere Änderungen aus dem Strafgesetzbuch in ein neues Gesetz zu verlagern, greife zu kurz, meint Andrea Büchler. Dass der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch am falschen Ort geregelt ist, darin stimmt die Juristin der Politikerin Léonore Porchet zu. Aber sie sagt: «Damit ist das Thema nicht beendet.»
1 www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20220432
2 www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-n-2023-02-03.aspx?lang=1031
3 www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/reproduktive/schwangerschaftsabbrueche.assetdetail.22986769.html