«Gottfried, was sollen wir tun?»

Wissen
Ausgabe
2023/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21569
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(10):78-79

Publiziert am 08.03.2023

Lieferengpass Das Diabetes-Medikament Ozempic wird in sozialen Medien als Wundermittel zum Abnehmen gehypt. Gottfried Rudofsky erklärt, weshalb das problematisch ist und was Hausärztinnen und Hausärzte beachten sollten, wenn sie das Medikament off-label zum Abnehmen verschreiben.
Gottfried Rudofsky, letzten Oktober und Dezember gab es Lieferengpässe beim Diabetes-Medikament Ozempic. Hatten Sie Probleme, Ihre Diabetes-Patientinnen und Patienten weiter zu behandeln?
Im Oktober war unser Kühlschrank leer und auch wir Spezialisten konnten das Medikament nicht mehr beziehen. Da mussten wir bei einigen Patienten auf eine andere Therapie ausweichen, bis es wieder verfügbar war.
Im Dezember wurden wir von der Herstellerfirma Novo Nordisk gewarnt, dass erneut ein Lieferengpass auf nicht absehbare Zeit droht. Sie können bis auf Weiteres nicht garantieren, wie viel und wie lange wir noch Ozempic bestellen können. Nun wird es kontingentiert. Wir erhalten dadurch im Moment nicht die Menge, die wir für eine ausreichende Versorgung bräuchten.
Ich weiss auch von verschiedenen Apotheken und Hausarztpraxen, dass sie das Medikament zeitweise nicht mehr besorgen konnten.
Symbolbild: Es gibt Lieferengpässe bei Diabetes-Medikamenten.
© Natchavakorn Songpracone / Dreamstime
Hat sich die Lage inzwischen entspannt?
Die Versorgungslage ist weiterhin angespannt. Die Bestellungen werden immer noch kontingentiert. Inzwischen melden auch andere Hersteller von ähnlich wirkenden Medikamenten Lieferprobleme und bitten uns, Patienten möglichst nicht mehr auf ihre Medikamente neu einzustellen. Das ist eine Situation, an die wir uns erst einmal gewöhnen müssen.
Hintergrund des Lieferengpasses ist, dass Ozempic auf sozialen Medien als Wundermittel zum Abnehmen angepriesen wurde, richtig?
Ja, sicher zum Teil. Elon Musk und weitere Influencer haben das Medikament auf sozialen Medien als Abnehmdroge gehypt. Auf Tiktok, Instagram und anderen sozialen Medien gibt es zahlreiche Erfahrungsberichte von Leuten, die damit abgenommen haben. Auch die Medien haben mit ihrer Berichterstattung dazu beigetragen, dass es einen riesigen Run auf das Medikament gab, auch von Leuten ohne Diabetes, die damit abnehmen möchten. Darunter schwer Übergewichtige, aber auch Frauen, die einfach von einer Kleidergrösse 38 auf eine 36 abnehmen möchten.
Hinzu kommt, dass auch die In-Label-Nachfrage nach dem Medikament zur Behandlung von Diabetes gestiegen ist, weil es sehr potent ist und auch schützende Effekte auf das Herz-Kreislauf-System nachgewiesen wurden [1].
Kann das Medikament denn tatsächlich Nicht-Diabetikern beim Abnehmen helfen?
Ja. Als sogenannter GLP-1-Rezeptorantagonist mit dem Wirkstoff Semaglutid wirkt Ozempic auf das Appetitzentrum und verlangsamt die Magenentleerung – Sie essen weniger. Bei vielen führt das Medikament anfangs zu Übelkeit, Erbrechen und weniger häufig zu Durchfall oder Verstopfung. Kaum jemand spricht über diese Nebenwirkungen oder darüber, dass das Gewicht meist Schritt für Schritt zurückkommt, wenn Ozempic abgesetzt wird. Es ist kein Wundermittel, und man sollte es nicht leichtfertig verschreiben.
War das mit ein Grund, weshalb Sie und Prof. Dr. med. Bernd Schultes vom Stoffwechselzentrum St. Gallen sich Ende Dezember in einem Brief an Ihre Ärztekolleginnen und -kollegen Ihrer Kantone wandten?
Einerseits ging es uns darum, aufzuzeigen, welche Alternativen bestehen, wenn Ozempic nicht verfügbar ist. Es gibt Medikamente derselben Wirkstoffklasse, auf die man ausweichen kann. Manche wirken vergleichbar gut, manche etwas geringer.
Weiter gingen wir im Brief darauf ein, was man berücksichtigen sollte, wenn man Patienten mit Adipositas off-label mit Ozempic behandelt. Denn die Nachfrage ist gross. Selbst zu uns Spezialisten mit Wartezeiten von drei bis vier Monaten kommen Patienten und Patientinnen und sagen: Ich habe davon gehört, ich will das unbedingt. Auch Hausärztinnen und Hausärzte sind dem ausgesetzt und manche haben mich kontaktiert, um zu erfahren: Gottfried, was sollen wir tun?
Verschreiben Sie Ozempic zum Abnehmen?
In manchen Fällen schon. Aber ich prüfe, ob auch eine Behandlung mit dem Medikament Saxenda möglich ist. Es ist ebenfalls ein GLP-1-Rezeptorantagonist wie Ozempic, aber speziell zur Gewichtsreduktion bei Übergewicht zugelassen. Es wird von den Krankenkassen bezahlt.
An Patientinnen und Patienten ohne Diabetes gebe ich Ozempic nur dann ab, wenn sie massiv übergewichtig sind und dadurch Gesundheitskomplikationen haben. Ich kombiniere das immer mit einer Ernährungsberatung und mit der Anleitung «Bitte bewegen Sie sich mehr», denn ohne diese Massnahmen funktioniert es nicht. Ich beschreibe es gerne als medikamentös unterstützte Lebensstiländerung, denn die Lebensstiländerung ist das entscheidende Erfolgsgeheimnis. Zudem informiere ich darüber, welche Nebenwirkungen auftreten können und dass sie unter dem Medikament nicht schwanger werden sollten. Ferner ist wichtig, dass Ozempic auf Dauer gespritzt werden muss, weil man mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder zunimmt, wenn die Therapie gestoppt wird. Ob es ein zweites Mal gleich gut funktioniert, ist fraglich. Oft ist es mit dem Abnehmen dann nicht mehr so leicht.
Weshalb?
Das Problem ist: Der Körper will eigentlich nicht abnehmen. Wenn er zwei bis drei Kilogramm abnimmt, denkt er gleich an den Hungertod und aktiviert Programme, die Energie sparen. Er vermehrt den Appetit, schränkt die Wärme- und Haarproduktion ein. Sie defäkieren quasi energieärmer, wenn Sie abnehmen, weil der Körper die Nahrung dann besser ausbeutet. Das alles erschwert es, abzunehmen und das Gewicht unten zu halten.
Wollen gewisse Patientinnen und Patienten das Medikament nicht mehr haben, wenn Sie ausführlich darüber informieren?
Ich habe immer wieder Patienten und Patientinnen, die nach einem Infogespräch sagen: Ach so, dann überlege ich mir das nochmals.
Prof. Dr. med. Gottfried Rudofsky
Inhaber einer Praxis Endokrinologie, Diabetologie und Adipositas in Olten, ausserordentlicher Professor an der Universität Heidelberg und Dozent an der ETH Zürich.