Neue Hoffnung bei der Behandlung von Tumoren

Neue Hoffnung bei der Behandlung von Tumoren

Wissen
Ausgabe
2023/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21629
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(18):62-63

Publiziert am 03.05.2023

Innovation Manche Tumoren sind gegen herkömmliche Krebstherapien resistent. Ab 2025 setzt das Waadtländer Universitätsspital ein neues Gerät für die Flash-Strahlentherapie ein. Die weltweit einzigartige Technologie ermöglicht die Behandlung der meisten soliden Tumoren – und soll dabei effektiv gesundes Gewebe schonen.
Was, wenn gegenüber herkömmlichen Therapien resistente Tumoren doch behandelbar wären? Diese Hoffnung knüpft man an die Flash-Strahlentherapie (RT-FLASH), eine innovative Technologie, für die sich das Waadtländer Universitätsspital (CHUV) in den letzten Jahren starkgemacht hat. Im vergangenen November kündigte die Lausanner Institution dazu eine neue Strahlentherapie-Plattform an, die weltweit einzigartig ist und mit einem sehr energiereichen Elektronenstrahl arbeitet. Diese Strahlung soll die Behandlung aller Arten von soliden Tumoren ermöglichen. Gleichzeitig soll sie das angrenzende gesunde Gewebe schonen und daher weniger Nebenwirkungen hervorrufen. Fachleute sind vom therapeutischen Potenzial der Methode begeistert. Bevor dieses jedoch ausgeschöpft werden kann, gilt es, die ersten klinischen Studien abzuwarten, die für 2025 geplant sind.
Laser therapy of cancer concept
Resistente Tumore effektiv bekämpfen: Das Waadtländer Universitätsspital CHUV setzt auf die Flash-Strahlentherapie.
© Kateryna Kon / Dreamstime

Um ein Drittel höhere Behandlungsdosis

«Bei äquivalenter Dosis lässt sich an gesundem Gewebe – entgegen aller Erwartungen − unter einer im Vergleich zur üblichen Methode 1000- bis 10 000-fach intensiveren Bestrahlung eine sehr starke Gewebeerhaltung beobachten», erklärt Prof. Dr. med. Jean Bourhis, Leiter der Abteilung für Radioonkologie am CHUV und verantwortlich für die Entwicklung der neuen Anlage. Der «Flash-Effekt» ist ein biologisches Phänomen, das in den 60er-Jahren in den USA entdeckt wurde und dann in Vergessenheit geriet. Vierzig Jahre später wurde er im Grossraum Paris erneut aufgegriffen. «Mehr oder weniger zufällig haben der Radiobiologe Vincent Favaudon vom Institut Curie und ich – damals am Centre Gustave Roussy – wieder zu diesem Phänomen geforscht, diesmal an Tumorgewebe.»
In Zusammenarbeit mit dem Team um Marie-Catherine Vozenin, der Leiterin des Forschungslabors für Radioonkologie am CHUV, gelang es den Wissenschaftlern im Jahr 2014 erstmals, die Bedeutung der RT-FLASH präklinisch an der Maus zu belegen. Die Flash-Bestrahlung mit Impulsen von wenigen Millisekunden war demnach bei menschlichen oder murinen Tumormodellen genauso effektiv wie die herkömmliche mehrminütige Bestrahlung. Zudem waren strahleninduzierte Komplikationen deutlich vermindert oder gar nicht nachweisbar. «Bei der RT-FLASH ist es so, als würde das gesunde Gewebe ein Drittel weniger Strahlung abbekommen», so Jean Bourhis. «Daher kann man eine entsprechende Erhöhung der Gesamtdosis erwägen.»

Zwei Validierungen bei Patienten

Derzeit wird in Südfrankreich das Gerät für die Flash-Strahlentherapie konstruiert. Es trägt den Namen «Flashdeep». Der Auftrag ging an das Start-up-Unternehmen Theryq, eine Tochtergesellschaft der Alcen-Gruppe, die gemeinsam mit dem CERN an der Entwicklung des mit einem kompakten Linearbeschleuniger ausgestatteten Geräts arbeitet. Die am Forschungszentrum in Meyrin entwickelte bahnbrechende Technologie ermöglicht die Abgabe von Elektronen mit einer Energie von 100 bis 200 MeV. Damit lassen sich Gewebe bis zu einer Tiefe von 20 Zentimetern und somit grundsätzlich alle Tumoren erreichen. Am CHUV haben die Bauarbeiten am 10 Meter langen Bunker für den Prototypen begonnen. Die Finanzierung in Höhe von 25,8 Millionen Franken wird durch die Stiftungen Isrec und Biltema gewährleistet.
Man vermutet, dass die Gewebeschonung unter der ultrahochdosierten Bestrahlung auf eine Sauerstoffverarmung zurückgeht. Die Mechanismen, die dem Flash-Effekt zugrunde liegen, sind jedoch noch weitgehend unbekannt. Laut Prof. Dr. med. Matthias Guckenberger, Leiter der Abteilung für Radioonkologie am Universitätsspital Zürich, kommt es jedoch hauptsächlich darauf an, dass «bezüglich der günstigen Wirkung der RT-FLASH ein Konsens besteht: Sie wurde von zahlreichen Forschungszentren bestätigt und präklinisch an Modellen für alle möglichen Gewebearten, darunter Lungen-, Hirn- sowie Hautgewebe, validiert.» Zudem ist ihre Wirksamkeit beim Menschen bereits zweimal nachgewiesen. Zunächst im Jahr 2018 bei einem Patienten mit einem hartnäckigen Lymphom, der im CHUV eine Flash-Bestrahlung mit Elektronen erhielt. Und letztes Jahr dann in den USA, wo sich rund zehn Personen mit Knochenmetastasen erfolgreich einer Flash-Bestrahlung mit Protonen unterzogen.

Mit Spannung erwartete klinische Studien

«Mit der RT-FLASH lassen sich zwei unterschiedliche Strategien verfolgen», betont der Zürcher Professor. Einmal kann man sie mit der üblichen Strahlendosis einsetzen und so das Risiko von Nebenwirkungen im Interesse des Patienten senken. Man kann aber auch versuchen, bei Krebserkrankungen, die auf die gängigen Protokolle nicht ansprechen, mit höheren Strahlendosen eine bessere Wirkung zu erzielen.» Tatsächlich sind rund 30 bis 40% der Krebserkrankungen heute gegen herkömmliche Strahlentherapien resistent. Diese zweite Strategie möchte das Team um Prof. Bourhis verfolgen, sobald die RT-FLASH-Anlage betriebsbereit ist. «Unsere ersten klinischen Studien werden sich auf Patienten mit Hirntumoren konzentrieren», so der Professor. «Metastasen, bei denen aufgrund ihrer Grösse eine Heilung ausgeschlossen ist, oder Glioblastome, bei denen die Heilungsrate bestenfalls etwa 8% beträgt. Wir wissen ja, dass das Gehirn durch den Flash-Effekt sehr gut geschützt ist, und sind daher in Bezug auf die zu erwartenden Ergebnisse optimistisch.»
Zu diesen geplanten Studien kommen die Ergebnisse weiterer klinischer Untersuchungen hinzu, die zur RT-FLASH am CHUV bereits laufen. Dabei geht es im Gegensatz zu Flashdeep jedoch um die oberflächliche Bestrahlung zur Behandlung von Hautkrebs. Rund 60 Patientinnen und Patienten werden in diesem Rahmen untersucht. «Die anstehende Etappe der klinischen Translation ist höchst spannend», sagt Matthias Guckenberger. «Sollte die RT-FLASH halten, was sie verspricht, wäre das ein Riesenfortschritt auf unserem Gebiet. Man sollte aber nicht voreilig sein, denn bis hierüber Gewissheit besteht, bedarf es noch vieler Tests.»