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Wissen
Ausgabe
2023/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.22161
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(39):62-63

Publiziert am 27.09.2023

Bluttests Sie liefern Resultate in Laborqualität: Eine neue Generation von Bluttests, die einfach und schnell zu Hause gemacht werden können – dank einer neuen Technologie ist dies nun möglich. Dabei hilft die hohe Testfrequenz, eine Krankheit und deren Entwicklung über einen längeren Zeitraum besser zu verstehen.
Es bleibt heutzutage eine Herausforderung, chronische Patienten und Patientinnen optimal zu behandeln: Während eines Arztbesuches kann nur punktuell der Zustand eines Patienten erfasst werden. Was fehlt, sind verlässliche Daten über den Krankheitsverlauf zwischen den Terminen. Die lückenhaften Informationen zu interpretieren ist eine schwierige Aufgabe im ärztlichen Alltag. Das innovative ETH Spin-off Hemetron versucht nun, diese Informationslücke zu beseitigen. Das Herzstück bildet eine neue Generation von Bluttests, die so kompakt sind wie herkömmliche Schnelltests und gleichzeitig Resultate in Laborqualität liefern.
Die drei Gründer des Start-ups Hemetron im Labor.
© Hemetron AG

Geringer Zeit- und Kostenaufwand pro Messung

Die Technologie ist kompatibel mit diversen Körperflüssigkeiten wie Speichel, Urin oder Blut. Der aktuelle Fokus liegt auf Kapillarblut, weil dieses von Erkrankten selbst entnommen werden kann und klinisch validiert ist. Am besten geeignet für die Technologie ist die Messung von Proteinen, welche viele wichtige Biomarker miteinschliessen. Nicht ideal, aber grundsätzlich möglich sind kleinere Moleküle, wie zum Beispiel Hormone, oder auch Blutzellen. Aktuell fokussiert sich Hemetron auf Tests für das C-reaktive Protein (CRP) für chronische Entzündungspatienten. Bei bisherigen Testlösungen mussten Kompromisse erbracht werden: Entweder man entscheidet sich für einen raschen und portablen Schnelltest mit schlechter Genauigkeit oder für einen genauen, aber auch sehr aufwendigen Test im Labor. Die neue Art von Test erlaubt nun Resultate ohne Kompromisse bei der Genauigkeit. Durch den geringen Zeit- und Kostenaufwand pro Messung können diese Tests fast beliebig oft durchgeführt werden.
Doch sind diese Tests auch realitätskonform bei einem zittrigen, betagten Menschen? Dr. Alexander Tanno, CEO und Co-Founder Hemetron AG, versichert: «Die Komplexität ist vergleichbar mit einem Glukose-Selbsttest mit Fingerprick, den die allergrösste Mehrheit der Patientinnen und Patienten problemlos erlernen und mit guter Genauigkeit anwenden kann.» Die ärztliche Beratung spielt aber eine wichtige Rolle: Im Gespräch kann der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin mit der Patientin eruieren, ob Selbsttests möglich und sinnvoll sind.

Krankheitsverlauf besser interpretieren

Für Ärztinnen und Ärzte ändert sich im Wesentlichen, dass Behandlungsentscheidungen auf deutlich mehr relevanten Daten basiert werden können. In vielen Fällen führen mehr Messpunkte über die Zeit dazu, dass die Entwicklung einer Krankheit einfacher zu interpretieren ist. Tanno erklärt: «Unsere Lösung eröffnet ausserdem die Möglichkeit, Feinjustierungen von Medikamentdosierungen zwischen den konventionellen Arztterminen telemedizinisch vorzunehmen. Diese werden den Patienten in derselben Smartphone App mittgeteilt. Der Zweck ist es, den Ärzten und Ärztinnen ein Werkzeug zur Verfügung zu stellen, mit dem sie Krankheitsverläufe besser nachvollziehen und beeinflussen können, um damit bessere Resultate für ihre Patienten zu erzielen.»

Gesundheitstechnologie hat Imageproblem

Doch neue Bluttesttechnologien haben einen schlechten Ruf. Die Grösse und Bekanntheit des Betrugsfalles von Theranos überschatten neue Start-ups mit genereller Skepsis. Tanno betont, dass es für Start-ups in diesem Bereich wichtig ist, Vertrauen zu schaffen. Die Tests von Hemetron wurden bereits von unabhängigen Institutionen erfolgreich validiert. Weitere klinische Studien sind bereits in der Planung. Prof. Dr. Dr. med. Michael Nagler, stellvertretender Leiter Zentrum für Labormedizin am Inselspital Bern, begrüsst neue Entwicklungen in der Labormedizin, weist jedoch auch auf die nötigen Studien hin: «Tatsächlich gab es berühmte Fälle mit grossen Versprechungen, die sich dann nicht verwirklicht haben. Die Technologie beinhaltet wichtige neue Aspekte, die diagnostische Performance muss aber erst noch umfassend bestätigt werden. Dafür muss man gute klinische Studien machen und das ist aufwendig.»

Zukunftsvision: Selbsttest und Telemedizin?

Dezentrale Tests bei Patienten zu Hause eignen sich bei einer hohen Testfrequenz oder wenn ein Resultat besonders dringend ist. Für andere Fälle braucht es weiterhin Labors, zum Beispiel für grosse Blutbilder mit weit über zehn Blutfaktoren, die maximal alle paar Monate ohne grossen Zeitdruck gemessen werden sollen. Nagler und Tanno können es sich nicht vorstellen, dass Telemedizin und patientennahe Diagnostik die Labore und die ambulante und stationäre Versorgung überflüssig machen werden. Nagler meint dazu: «Wenn ich mir die Nachteile und Limitationen der heutigen patientennahen Diagnostik anschaue, dann kann ich keine Entwicklung extrapolieren, die Labore oder gar Laboruntersuchungen in absehbarer Zeit überflüssig machen wird.»
Gemäss Nagler stellen sich für die Ärzteschaft bei allen diagnostischen Tests eine von drei wesentlichen Fragen: Was hat der Patient oder die Patientin für eine Erkrankung (Diagnose), was ist das Risiko von Komplikationen (Prognose), und wie wirksam und sicher ist die Therapie (Monitoring)? Zusätzlich müssen Labortests Prozesse in der Gesundheitsversorgung verbessern, beispielsweise Abklärungen vereinfachen und beschleunigen sowie Zeit und Kosten sparen. Um das zu erreichen, müssen neue Tests und insbesondere neue Testverfahren sorgfältig in die heutigen Abläufe integriert werden, so Nagler und Tanno.

Quantitativer Lateral-Flow-Test

Der Lateral-Flow-Test ist eine biochemische Methode zum qualitativen Nachweis von Stoffen mit Antikörpern – man kennt diese Art Schnelltest bereits von Schwangerschaftstests, Allergenschnelltests, Influenza- oder spätestens durch die Corona-Schnelltests. Diese Tests hatten jedoch bisher keinen zufriedenstellenden quantitativen Auslesemechanismus. Die neue Technologie, die an der ETH Zürich entwickelt wurde, besitzt eine elektrochemische Auslese-Technologie. Somit kann der Lateral-Flow-Test quantitativ und sensitiv gestaltet werden – dies ermöglicht eine klinisch-relevante tragbare Blutdiagnostik für zu Hause oder unterwegs.