Herausforderung: ethische Fallbesprechung

Herausforderung: ethische Fallbesprechung

Praxistipp
Ausgabe
2024/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1372237070
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(11):64-65

Publiziert am 13.03.2024

Ethik
In der klinischen Ethik liegt der Schwerpunkt meist in der Unterstützung von Gesundheitsfachpersonen. Im Team können unklare ethische Situationen besprochen, analysiert und einer Lösung zugeführt werden. Unser Autor erklärt, wie eine solche Fallbesprechung bestenfalls abläuft.
Die Ethik-Fachperson agiert als Moderator einer Ethik-Fallbesprechung. Diese Ethikmoderation ist nicht immer trivial. Die zu besprechenden klinischen Situationen sind anspruchsvoll, oder die Gesundheitsfachpersonen haben unklare Erwartungen an die Ethik. Aus diesem Grund herrscht manchmal eine unbegründete Angst, dass Ethikfallbesprechungen ein Tribunal seien, in der Schuldzuweisungen verhandelt werden. So ist es nicht. Sie dienen dem Zweck, mit gemeinsamem Denken das Team zu fördern, um Wertekonflikte zu verbalisieren und um sich aktiv auf einen Perspektivenwechsel einzulassen.

Fallbesprechungen klar strukturieren

Im Gegensatz zu einer retrospektiven Fallbesprechung dauert bei einer prospektiven Besprechung der klinische Fall noch an. In der Regel muss eine wichtige Entscheidung getroffen werden. Diese Entscheidungsfindung steht im Zentrum.
Obwohl es mittlerweile viel Literatur und Weiterbildungsmöglichkeiten zur Moderation solcher ethischen Fallbesprechungen gibt, so gibt es doch zwei Momente im Laufe der Moderation, die ich selbst als besonders herausfordernd erachte: den Start und das Ende.
In den ersten zwei Minuten der Besprechung versuche ich als Moderator eine möglichst grosse Klarheit in Bezug auf das Ziel, den zeitlichen Rahmen und die Vertraulichkeit des Gesprächs zu vermitteln:
  • Ziel: Am Anfang einer Fallbesprechung sollte möglichst konkret festlegt werden, welches Ziel man am Ende der Besprechung erreichen will. Müssen wir eine Entscheidung treffen? Muss eine Entscheidung so vorbereitet werden, dass sie von dem Patienten getroffen werden kann? Was ganz genau ist das Ziel? Und wer im Raum ist die juristisch verantwortliche Ärztin, die den Entscheid vertreten muss?
  • Zeit: Es ist auch wichtig, dass man am Anfang eine konkrete Dauer der Besprechung festlegt, und diese Dauer dann auch einhält. 45 vereinbarte Minuten sind eine realistische Dauer. Diese sollte dann aber auch unter keinen Umständen überschritten werden, sonst verliert man womöglich das Vertrauen als Moderator.
  • Vertrauen: Der Moderator sollte – wenn irgend möglich – direkt zu Anfang versuchen, ein gemeinsames Vertrauen im Besprechungsprozess aufzubauen. Kennen sich eigentlich alle? Wer hat neu angefangen, hier zu arbeiten? Vielleicht ein kurzer Witz, es muss nicht immer alles ganz ernst sein. Und das Wichtigste: Direkt und jedes Mal klar ansprechen, dass es in der kommenden Fallbesprechung nicht um Schuldzuweisungen oder Ärzte-Bashing geht. Im Gegenteil, wir helfen uns hier gegenseitig beim Denken, nicht mehr und nicht weniger.

Ziel: konkrete Schritte planen

Hilfreich am Ende einer prospektiven Fallbesprechung empfinde ich eine kurze Paraphrasierung und Konkretisierung durch den Moderator.
  • Paraphrasierung: Der Moderator sollte alle wichtigen Punkte (beziehungsweise die Entscheidung) noch einmal in eigenen Worten wiederholen. Damit hat jede anwesende Gesundheitsfachperson noch einmal die Chance, etwas zu ergänzen oder richtigzustellen.
  • Konkretisierung: Der Moderator sollte sich auch nicht scheuen, konkret festzulegen, wer die nächsten Schritte unternimmt. Beispiele: Wer führt jetzt welches Telefonat, wann? Wer geht zur Patientin, wann genau?
Mein hier dargestellter Fokus auf Start und Ende ethischer Fallbesprechungen, respektive auf die Versprachlichung von Zielen, Zeit, Vertrauen und auf eine abschliessende paraphrasierte Klarheit mag andere Moderatorinnen und Moderatoren anregen, auch darüber berichten zu wollen, was ihrer Erfahrung nach Erfolgspunkte zum Durchführen von ethischen Fallbesprechungen sind. Mich würde es freuen.
Prof. Dr. Rouven Porz Medizinethik und ärztliche Weiterbildung, Insel Gruppe, Inselspital Bern