Das «Health Valley»

Das «Health Valley»

Coverstory
Ausgabe
2024/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1380423497
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(11):16-20

Publiziert am 13.03.2024

Innovation
Das Universitätsspital Genf beherbergt seit 2017 einen «Innovation Hub». Zwei weitere, sehr unterschiedliche Zentren entstehen derzeit in der Romandie: der «Pôle santé» in Sitten und der Genolier Innovation Hub im privaten Sektor. Wir haben nachgefragt, was diese Zentren für die Medizin leisten wollen.
Seit einigen Jahren setzen die Schweizer Spitäler verstärkt auf innovationsfördernde Massnahmen. Welche Vorteile bringen diese angesichts des Mangels an Personal, Nachwuchs und Innovationskraft in diesem Sektor, aber auch für die berufliche Transformation? In der Romandie wurde 2017 am Universitätsspital Genf (HUG) der erste spezialisierte «Hub» ins Leben gerufen. «Damals waren wir das erste Innovationszentrum im universitären Spitalbereich der Schweiz und das zweite in Europa, ausgelegt vor allem für die Mitarbeitenden der Institution, zum Nutzen des Spitals, der Mitarbeitenden und der Patienten, aber auch der Region Genf und des Gesundheitssystems», erklären Helena Bornet dit Vorgeat, operative Leiterin des Innovationszentrums, und Prof. Dr. med. Idris Guessous, akademischer Leiter.

Lösungsorientierte Intrapreneurship

Im Gegensatz zu anderen Zentren, die neue Gebäude für ihre Innovationshubs erstellen – mit Kosten von mehr als 97 Millionen Franken für den künftigen Pôle santé in Sitten und 100 Millionen für den Genolier Innovation Hub –, befindet sich das Innovationszentrum des HUG im Erdgeschoss des kürzlich errichteten Gustave-Julliard-Baus. «Wir sind in den Räumlichkeiten des Spitals verankert, im Herzen der Institution, unmittelbar über der Intensivstation und mit acht Spitaletagen über uns», betont die Leiterin. Die Wände zu den Besprechungsräumen zieren Dutzende Porträtfotos der vielen Fachpersonen aller Berufsgruppen am HUG, die an einem einfachen innovativen Projekt mitgewirkt haben – z. B. an wandständigen Boxen für medizinische Handschuhe in den Abteilungen –, oder an komplexeren, etwa der digitalen Plattform Concerto mit Anwendungen für Patientinnen und Patienten.
«Unser Hauptziel ist zunächst die lösungsorientierte Intrapreneurship», sagt Helena Bornet dit Vorgeat. «Das HUG ist mit 13 000 Mitarbeitenden der grösste Arbeitgeber im Kanton Genf. Das bedeutet ein riesiges Potenzial an guten Ideen, aus denen eventuell Produkte zur Deckung von institutionseigenen und marktweiten Bedürfnissen entstehen. Diese können dann als Spin-off ausgelagert werden und kantonsweit, wenn nicht sogar international Anwendung finden.»

Helena Bornet dit Vorgeat

Operative Leiterin des Innovationszentrums des HUG

«Unser Hauptziel ist zunächst die lösungsorientierte Intrapreneurship.»

Konkret bietet das Innovationszentrum begleitende Dienstleistungen an, um «durch Schulung der Fachleute vor Ort im Management innovativer Produkte von der Idee zum Produkt zu gelangen». Dazu gehören die Generierung und Umsetzung von Ideen sowie die Verwertung des Produkts mit internen oder externen verkaufsfördernden Massnahmen. Zu den aktuellen Schwerpunkten zählen unter anderem Medtech- und Biotechprodukte mit Bezug zur Universität Genf, medizinische Anwendungen, neue Instrumente und Objektvernetzung, Prozessverbesserungen und künstliche Intelligenz.
Extension maternité 3.3
Das Innovationszentrum des HUG befindet sich im Erdgeschoss des kürzlich errichteten Gustave-Julliard-Baus.
© Louis Brisset - HUG

Mehr als 140 erfolgreiche Projekte

«Von 2017 bis 2022 wurden gut 140 Projekte erfolgreich auf den Weg gebracht, etwa 30 davon innerhalb der Einrichtung. Soeben wurde das elfte Start-up-Unternehmen gegründet, rund 30 Patente wurden angemeldet, 100 Erfindungsmeldungen gemacht...» Von den dreizehn im Jahr 2022 ausgewählten Projekten stammt ein Viertel von Ärzten und Ärztinnen, ein weiteres Viertel stammt von Angestellten aus den Bereichen Logistik, Technik, Hauswirtschaft und Catering. Es folgen Verwaltungs- und Pflegepersonal, medizinisch-technisches und medizinisch-therapeutisches Personal sowie das Personal des Sozialdienstes. Unter den Projekten, aus denen Spin-offs hervorgingen, nennt Idris Guessous die Firma HekeTiss, die Zelltherapien in Pflasterform zur Behandlung chronischer Wunden entwickelt.
Von 2017 bis 2022 wurden rund 140 Projekte erfolgreich auf den Weg gebracht, etwa 30 davon innerhalb des HUG.
© Elsa Devaux - HUG
Dass alle Mitarbeitenden am Wandel mitwirken können, soll zudem für Attraktivität sorgen, insbesondere bei Praktikanten, Auszubildenden und Berufseinsteigern. Die Innovationskultur eröffne neue Perspektiven, trage dazu bei, das Silodenken innerhalb der Institution aufzubrechen, fördere die transdisziplinäre Zusammenarbeit und ebne den Weg für «immer neue Berufe: Fachperson für Innovation, medizinische Informatik, Informatik in der Pflege, KI usw.», sagt Helena Bornet dit Vorgeat. Die Finanzierung erfolgt durch externe Investoren, zudem «haben wir glücklicherweise mit der Fondation privée des HUG eine private Stiftung zur Förderung der Projekte», ergänzt Idris Guessous.

Der neue Pôle santé

In Sitten stellen der Direktor der HES-SO Valais-Wallis, François Seppey, und die Direktorin der Hochschule für Gesundheit (Haute École de Santé), Lara de Preux-Allet, die Grundzüge des zukünftigen Pôle santé vor, der im Herbst 2026 fertig sein soll. Der Grundstein wurde im August 2023 gelegt. Das Zentrum diene zur Bündelung der Kompetenzen «der HES-SO bei pflegespezifischen Bachelor-Ausbildungen mit Bildungsgängen der höheren Fachschulen in Sozialer Arbeit, Pädagogik und beruflicher Handlungsbefähigung, Räumen für Aktivitäten der EPFL, dem Walliser Gesundheitsobservatorium, Start-ups − mit Unterstützung der Stiftung The Ark − sowie für das Bewegungs-Kompetenzzentrum Spark».
Der Pôle santé soll Grundlagenforschung, Ausbildung, angewandte Forschung und Entwicklung sowie wirtschaftliche Förderung vereinen.
© Comamala Ismail Architectes
Der Bund soll das Projekt nach vorläufigen Schätzungen mit 17 Millionen Franken für Fachhochschul-Ausbildungsaktivitäten finanzieren. Zwei Drittel der veranschlagten Kosten gehen zulasten des Kantons, die Stadt Sitten kommt für ein Zehntel auf. Direktor Seppey erklärt, dass der Kanton Wallis eine Vereinbarung mit der EPFL über die Einrichtung einer kantonalen Aussenstelle der Institution mit Forschungsbereichen «zu Energie, Umwelt, Biochemie und Gesundheit» unterzeichnet habe. In diesem Kontext steht der Bau des Campus, einschliesslich des zukünftigen Pôle santé in Champsec. Dessen Besonderheit besteht darin, an einem Standort Akteure aus den Bereichen Grundlagenforschung (betrifft die EPFL), Ausbildung, angewandter Forschung und Entwicklung (FH) und wirtschaftlicher Förderung zusammenzubringen. So will man die Verwertung und die Erstellung von Prototypen ermöglichen, was The Ark übernimmt, eine 2004 vom Departement für Volkswirtschaft, Energie und Raumentwicklung gegründete Stiftung. Diese soll die Gründung und Lancierung von Start-ups und das Wachstum sowie den Ausbau von Unternehmen mit einem auf Innovation ausgerichteten Technologiepark fördern.
François Seppey hebt eine weitere Besonderheit hervor: «Wir befinden uns auf dem Gelände des Kantonsspitals und der Clinique romande de réadaptation der Suva. Das ist ein Ökosystem, das Synergiebildungen begünstigt.» Lara de Preux-Allet sagt, dass der Rehabilitationssektor in der Romandie eine «vergleichsweise einzigartige Nähe zum Bereich Sport und Leistung» aufweise. Die Clinique romande de réadaptation SuvaCare unterhält auf dem Gelände bereits einen auf Neurowissenschaften spezialisierten Lehrstuhl der Fakultät für Biowissenschaften der EPFL sowie ein in der motorischen Rehabilitation tätiges Labor. Mehrere Start-ups aus dem Bereich «digitale Gesundheit» sind ebenfalls präsent.

François Seppey

Direktor der HES-SO Valais-Wallis

«Ressourcenschwache und dezentrale Kantone sind gezwungen, die Dinge anders anzugehen.»

Sozioökonomisches Gefüge

Die ersten in Sitten angegebenen Projektbeispiele betreffen künstliche Intelligenz und Informatik im Gesundheitswesen oder die Neurowissenschaften. Alles eingebettet in den strategischen Aufbau von Partnerschaften mit grossen Branchenakteuren, nach dem Grundsatz: «Weiterentwicklung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das unterscheidet uns von anderen Hubs. Genauso wie die vierzig Jahre alte historische Verbindung zwischen den Hochschulen und dem Wirtschaftsgefüge des Wallis – ein Privileg der ressourcenschwachen, dezentralen und nicht universitären Kantone, die gezwungen sind, ihre Kräfte zu bündeln und die Dinge anders anzugehen», erklärt François Seppey.
Der zukünftige Pôle santé setzt zudem auf neue Attraktivitätsfaktoren wie Interdisziplinarität, hochwertige Infrastruktur – etwa einen neuen Simulationsraum – und Dienstleistungen, einschliesslich einer Kinderkrippe für das Personal. Damit will er die Probleme mit der Rekrutierung von Spezialisten, Pflegefachpersonen und Mitarbeitenden in Forschung und Lehre lösen. Ausserdem soll er die Ausbildung attraktiver gestalten und schliesslich noch als Ideengeber fungieren und für bestimmte Ausbildungs- und Forschungsaktivitäten den direkten Zugang zu Patientinnen und Patienten ermöglichen.
Der Genolier Innovation Hub soll als medizinische und wissenschaftliche Plattform dienen.
© Genolier Innovation Hub

«Hotel für Unternehmen»

Vor einem ganz anderen Hintergrund präsentiert sich der zukünftige Innovation Hub in der Waadtländer Gemeinde Genolier. Die Eröffnung ist für September nächsten Jahres geplant. Der Hub soll als «medizinische und wissenschaftliche Plattform» dienen, wie seine Direktorin Anna Gräbner vor Ort erklärt. Das Projekt wird komplett von der Holdinggesellschaft Aevis Victoria SA finanziert, die Hotels betreibt, aber auch in die Privatklinikgruppe Swiss Medical Network oder in das Réseau de lArc investiert, zusammen mit dem Kanton Bern und der Visana-Versicherungsgruppe. Ziel ist es, «alle Akteure im Gesundheitswesen zusammenzubringen, ob Medtech, Pharmakologie, Biowissenschaften oder digitale Technologien. Und wir sind nicht nur offen für allseits bekannte Big Player wie Novartis, Johnson & Johnson oder Philips, sondern auch für Start-ups.»

Anna Gräbner

Direktorin des Genolier Innovation Hub

«Unser Mehrwert ist die direkte Nähe zu unserer Patienten- und Ärzteschaft.»

Dieser Hub ist nicht als Start-up-«Inkubator» gedacht, sondern als Anlaufstelle «für Programme, die bereits die letzte Phase der experimentellen Entwicklung durchlaufen haben». Als Inkubator betätigt sich bereits der Biopôle in Lausanne, der seit drei Jahren Partner ist. In Genolier besteht das Projekt darin, auf den nächsten Schritt – die klinische Anwendung – hinzuarbeiten und strategische Begegnungen und Interaktionen zu erleichtern, um im Kontakt mit dem medizinischen Umfeld den Praxistransfer innovativer Lösungen zu beschleunigen. «Unser Mehrwert ist die direkte Nähe zu unserer Patienten- und Ärzteschaft. Damit schliessen wir die bestehende Lücke zwischen Innovation und Endanwendern.»

Spitzentechnologie

Wie sieht das Geschäftsmodell aus? «Ich vergleiche es immer mit einem Hotel für Unternehmen», sagt Anna Gräbner, mit Rotationen «alle 6, 12, 18 oder 24 Monate» und mit der Flexibilität modularer Anlagen. Ausnahmen bilden das amerikanische Unternehmen Accuray – weltweit führend in der Hochpräzisions-Strahlentherapie und Partner des Hub –, das elf Jahre lang von speziellen Bunkern sowie einem «globalen Kompetenzzentrum» profitieren wird, sowie GE Healthcare – spezialisiert auf medizinische Geräte und Scanner –, das ebenfalls Quartier bezieht. Nuklearmedizin und Strahlentherapie stehen damit im Vordergrund, mit «Spitzentechnologie und der bereits Mitte Februar begonnenen Patientenaufnahme».

Diese Innovationskultur eröffnet neue Perspektiven, trägt dazu bei, das Silodenken innerhalb der Institution aufzubrechen, und fördert die transdisziplinäre Zusammenarbeit.

Der Hub umfasst die Clinique de Genolier, die Clinique Nescens und das Genolier Cancer Center. Im weiteren Sinne soll er dem gesamten Netz des Swiss Medical Network, aber auch den nationalen und internationalen öffentlichen Spitälern zugutekommen. Weitere Ziele umfassen Aus- und Weiterbildung sowie Forschung – mit technischen Bereichen, die auch für die Geräteausstattung und spezielle Operationssäle vorgesehen sind. Der Genolier Innovation Hub wird die Attraktivität des Standorts weiter steigern. Schon heute zieht er angehende Ärztinnen und Ärzte auf der Suche nach neuen Perspektiven an.