Berlin, März 2024

DHPC – Valproat (Depakine®, Depakine® Chrono, Valproate Chrono Sanofi®, ­Valproat Chrono Desitin®, Orfiril®/-long, Orfiril®, Valproat Sandoz®, Convulex®)

Wichtige Sicherheitsinformationen
Ausgabe
2024/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1410681085
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(11):24-26

Publiziert am 13.03.2024

Valproat
Potenzielles Risiko für Kinder von mit Valproat behandelten Vätern – Neue Massnahmen zum potenziellen Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von mit Valproat behandelten ­Vätern im Vergleich zu Kindern von Vätern, die mit Lamotrigin oder Levetiracetam behandelt wurden
Sehr geehrte Damen und Herren,
Dieses Schreiben wird in Abstimmung mit Swissmedic versendet und informiert Sie über neue Massnahmen zur Aufklärung über ein potenziell erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen (Neurodevelopmental Disorders, NDDs) bei Kindern von in den drei Monaten vor und/oder zum Zeitpunkt der Zeugung mit Valproat behandelten Vätern, im Vergleich zu Kindern von Vätern, die mit ­Lamotrigin oder Levetiracetam behandelt ­wurden.

Hintergrundinformationen

Valproat und verwandte Substanzen sind zur Be­handlung von Epilepsie und/oder bipolarer Störung ­zugelassen.
Im Jahr 2018 forderte die EMA die pharmazeutischen Unternehmen, die Arzneimittel in den Verkehr bringen, die Valproat oder eines ihrer Derivate enthalten, auf, eine Studie durchzuführen. Das primäre Ziel war die Bewertung des Risikos für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von Vätern, die mit Valproat oder einem ihrer Derivate vor der Zeugung oder in den drei Monaten vor der Zeugung behandelt wurden.
Die retrospektive Beobachtungsstudie wurde anhand von Registerdatenbanken aus drei nordeuropäischen Ländern (Dänemark, Schweden und Norwegen) durchgeführt. Eine ­Kohorte von Kindern, deren Väter Valproat erhielten, wurde mit einer Kohorte von Kindern, deren Väter Lamotrigin/Levetiracetam erhielten, verglichen. Der primäre Endpunkt waren NDDs (kombinierter Endpunkt einschliesslich Autismus-Spektrum-Störungen, geistige Behinderung, Kommunikationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Bewegungsstörung) bei Kindern bis zu 12 Jahren.
  • Das bereinigte kumulative Risiko von NDDs lag zwischen 4,0% und 5,6% in der Gruppe der Kinder von mit Valproat behandelten Vätern im Vergleich zu 2,3% bis 3,2% in der kombinierten Gruppe der Kinder von mit Lamotrigin/Levetiracetam-Mono­therapie behandelten Vätern. Die gepoolte bereinigte Hazard Ratio (HR) aus der Metaanalyse der Datensätze betrug für NDDs insgesamt 1,50 (95% CI: 1,09-2,07).
  • Aufgrund der Einschränkungen der Studie ist es nicht möglich, festzustellen, welche der untersuchten NDD-Subtypen (Autismus-Spektrum-Störung, geistige Behinderung, Kommunikationsstörung, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Bewegungsstörungen) zum insgesamt erhöhten Risiko für NDDs beitragen.
  • Es liegen keine Daten zu diesem potentiellen Risiko für Kinder vor, die mehr als 3 Monate nach Beendigung der Behandlung mit Valproat gezeugt wurden (d.h. um eine neue Spermatogenese ohne Valproat-Exposition zu ermöglichen).

Massnahmen und Anweisungen/­Empfehlungen für Fachpersonen

Trotz der Einschränkungen der Studie sollte der verschreibende Arzt die männlichen Patienten (und/oder ihre gesetzlichen Vertreter) als Vorsichtsmassnahme zu Behandlungsbeginn und bei jeder jährlichen Überprüfung der Behandlung über Folgendes informieren.
  • dieses potenzielle Risiko,
  • die Notwendigkeit einer zuverlässigen Verhütungsmethode, einschliesslich bei der Partnerin, während der gesamten Be­handlungsdauer mit Valproat und während 3 Monate nach Beendigung der Behandlung,
  • die Kontraindikation einer Samenspende während der gesamten Behandlungsdauer mit Valproat und während 3 Monate nach Beendigung der Behandlung,
  • die Notwendigkeit, ihren Arzt aufzusuchen, sobald sie beabsichtigen, ein Kind zu ­zeugen, und bevor sie die Empfängnis­verhütung abbrechen, um alternative Behandlungsoptionen vor der Zeugung zu ­besprechen,
  • dass er und seine Partnerin sich unverzüglich an ihre jeweiligen Ärzte zur Beratung wenden, im Falle einer Schwangerschaft, wenn er Valproat innerhalb von 3 Monaten vor oder während der Zeugung eingenommen hat.
Der verschreibende Arzt sollte ebenfalls zu ­Behandlungsbeginn und bei jeder jährlichen Überprüfung:
  • Die neue «Broschüre für männliche zeugungsfähige Patienten» dem männlichen Patienten (und/oder seinen gesetzlichen Vertretern) zur Verfügung stellen.
  • Das neue «Formular zur Bestätigung der ­Risikoaufklärung für männliche zeugungsfähige Patienten» ausfüllen und den Patienten (und/oder seine gesetzlichen Vertreter) unterschreiben lassen.
Ausserdem sollten Apotheker (oder Ärzte, falls sie das Medikament abgeben) Folgendes sicherstellen:
  • Die Patientenkarte muss bei jeder Abgabe von Valproat ausgehändigt werden, und der Patient (und/oder sein gesetzlicher Ver­treter) muss deren Inhalt verstehen.
  • Es muss verstärkt auf die Vorsichtsmass­nahmen hingewiesen werden, insbesondere auf die Notwendigkeit einer zuverlässigen Verhütungsmethode.
  • Der Patient (und/oder sein gesetzlicher Vertreter) wird angewiesen, die Anwendung von Valproat nicht abzubrechen und im Falle einer geplanten Schwangerschaft unverzüglich seinen Facharzt aufzusuchen.
Die Nutzung der Schulungsmaterialien wird empfohlen, um männliche Patienten über ­dieses potenzielle Risiko zu informieren und Empfehlungen zur Anwendung von Valproat bei männlichen Patienten mit Reproduktionspotenzial zu geben. Diese Schulungsmaterialien für männliche Patienten bestehen aus:
  • Einer Informationsbroschüre für männliche zeugungsfähige Patienten
  • Dem Leitfaden für medizinische Fachkreise, der mit Informationen zu männ­lichen Patienten ergänzt wurde
  • Einem jährlich auszufüllenden Formular zur Bestätigung der Risikoaufklärung für männliche Patienten
  • Einer ergänzten Patientenkarte, die Informationen auch für männliche Patienten enthält.

Meldung unerwünschter Ereignisse

Swissmedic empfiehlt Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) durch das dafür entwickelte Meldeportal Electronic Vigilance System (ElViS) zu melden. Alle erforderlichen Informationen hierzu sind unter www.swissmedic.ch zu finden.

Anhänge

Die neuen Schulungsmaterialien sind über die Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen von Valproat-haltigen Arzneimitteln und auf der Swissmedic-Website www.swissmedic.ch (Bereich DHPC/HCP) erhältlich.
Die Fachinformationen und die Patienteninformationen sind erhältlich auf swissmedicinfo.ch.

Zusammenfassung

  • Ergebnisse einer retrospektiven Beobachtungsstudie (EUPAS34201) aus Registerdatenbanken von drei nordeuropäischen Ländern (Dänemark, Schweden und Norwegen) deuten auf ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen (NDDs) bei Kindern (von 0 bis 11 Jahren) von Vätern hin, die in den 3 Monaten vor und/oder zum Zeitpunkt der Zeugung mit Valproat behandelt wurden, im Vergleich zu Kindern von Vätern, die mit Lamotrigin oder Levetiracetam behandelt wurden.
  • Die Ergebnisse sind folgende:
    – Das bereinigte kumulative Risiko von NDDs lag zwischen 4,0% und 5,6% in der Gruppe der Kinder mit Valproat behandelten ­Vätern im Vergleich zu 2,3% bis 3,2% in der kombinierten Gruppe der Kinder mit Lamotrigin/Levetiracetam-Monotherapie behandelten Vätern.
    – Die gepoolte bereinigte Hazard Ratio (HR) aus der Metaanalyse der Datensätze betrug für NDDs insgesamt 1,50 (95% CI: 1,09-2,07).
  • Aufgrund der Einschränkungen der Studie ist es nicht möglich, festzustellen, welche der untersuchten NDD-Subtypen (Autismus-Spektrum-Störung, geistige Behinderung, Kommunikationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Bewegungsstörungen) zum insgesamt erhöhten Risiko für NDDs beitragen.
  • Es liegen keine Daten zu diesem potentiellen Risiko für Kinder vor, die mehr als 3 Monate nach Beendigung der Behandlung mit ­Valproat gezeugt wurden (zeitliche Verzögerung, um eine neue ­Spermatogenese ohne Valproat-Exposition zu ermöglichen).
  • Trotz der Einschränkungen der Studie sollte der verschreibende Arzt als Vorsichtsmassnahme zu Behandlungsbeginn und bei jeder jährlichen Überprüfung der Behandlung (mindestens einmal jährlich):
    – männliche Patienten (und/oder deren gesetzliche Vertreter) über Folgendes informieren:
    ○ das potenzielle Risiko für NDDs bei ihren Kindern,
    ○ die Notwendigkeit für sie und ihre weiblichen Partnerinnen, eine zuverlässige Verhütungsmethode während der gesamten Behandlungsdauer mit Valproat und bis 3 Monate nach Beendigung der Behandlung anzuwenden,
    ○ die Kontraindikation einer Samenspende während der gesamten Behandlungsdauer mit Valproat und während 3 Monate nach Beendigung der Behandlung,
    ○ die Notwendigkeit einen Arzt aufzusuchen, sobald sie beabsichtigen, ein Kind zu zeugen, und bevor sie die Empfängnisverhütung abbrechen, um alternative Behandlungsoptionen vor der Zeugung zu besprechen,
    ○ dass er und seine Partnerin sich unverzüglich an ihre jeweiligen Ärzte zur Beratung wenden, im Falle einer Schwangerschaft unter väterlicher Behandlung mit Valproat oder während 3 Monate nach Beendigung der Behandlung,
    ○ die Notwendigkeit einer regelmässigen (mindestens einmal jährlichen) Überprüfung der Behandlung durch einen in der Behandlung von Epilepsie oder bipolaren Störungen erfahrenen Spezialisten, um alternative therapeutische Optionen zu besprechen.
    – Die neue «Broschüre für männliche zeugungsfähige Patienten» dem männlichen Patienten (und/oder seinem gesetzlichen Vertreter) zur Verfügung stellen.
    – Das neue «Formular zur Bestätigung der Risikoaufklärung für männliche zeugungsfähige Patienten» ausfüllen und den Patienten (und/oder seinen gesetzlichen Vertreter) unterschreiben lassen.
Ausserdem sollten Apotheker (oder Ärzte, falls sie das Medikament abgeben) Folgendes sicherstellen:
– Die Patientenkarte muss bei jeder Abgabe von Valproat aus­gehändigt werden, und der Patient (und/oder sein gesetzlicher Vertreter) muss deren Inhalt verstehen.
– Es muss verstärkt auf die Vorsichtsmassnahmen hingewiesen werden, insbesondere auf die Notwendigkeit einer zuverlässigen Verhütungsmethode.
– Der Patient (und/oder sein gesetzlicher Vertreter) wird angewiesen, die Anwendung von Valproat nicht abzubrechen und im Falle einer geplanten Schwangerschaft unverzüglich seinen Facharzt aufzusuchen.
  • Die Fachinformation, die Patienteninformation sowie die Schulungsmaterialien für Valproat-haltige Arzneimittel werden aktualisiert, um sich der Risiken bewusst zu sein und die Vorsichtsmassnahmen zu verstehen.

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