Auf den Punkt

«Kein Medikament kann Bewegung ersetzen»

News
Ausgabe
2024/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1374977926
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(16):8-9

Publiziert am 17.04.2024

Escape Hospital
Ein Aufenthalt im Krankenhaus und Bettlägerigkeit gehen oft Hand in Hand. Studien haben ergeben, dass die Immobilität nicht ohne Folgen für die gesundheitlichen Komplikationen im Krankenhaus ist. Um Patientinnen und Patienten in Schwung zu bringen, hat das Freiburger Spital (HFR) ungewöhnliche Aktivitäten eingeführt – beispielsweise ein Escape Game.
Ein Escape Game soll Patientinnen und Patienten, insbesondere die über 65-Jährigen, dazu anregen, sich zu bewegen und dem Krankenhausalltag zu entfliehen. Dies ist eine der Massnahmen, die das Freiburger Spital (HFR) eingeführt hat, um gegen Immobilität und die Spital-Monotonie anzukämpfen. «Seit Herbst 2023 eilen hospitalisierte Personen mit ihren Infusionsständern im Freiburger Spital umher und sind in ihren Zimmern aktiv, um schneller zu genesen», sagt Aline Schuwey, Pflegedirektorin des HFR.
Nachdem die Patientinnen und Patienten sich freiwillig angemeldet haben und vom Physiotherapeutenteam körperlich und kognitiv fit gemacht wurden, erhalten sie von der Abteilung Innere Medizin und Chirurgie ein sogenanntes Reisetagebuch, um am «Escape Hospital» teilzunehmen. Dieses umfasst elf Etappen, um «in wenigen Schritten um die Welt» zu reisen. Das Ausfüllen des Reisetagebuches, das Anziehen der Kleidung, die Mitnahme des Telefons, um Schnappschüsse von der Reise zu machen, und das Abholen des Flugtickets im Ergotherapieraum des Krankenhauses sind die ersten Schritte des Spiels. Danach folgen sieben Etappen, in denen die Patientinnen und Patienten Kreuzworträtsel, Bilderrätsel und Puzzles lösen müssen. Hinweise an den Wänden der Korridore, die über die neun Stockwerke des Spitals verteilt sind, führen die Teilnehmer durch das Labyrinth des HFR. Alle 30 Meter stehen Stühle bereit, in allen Korridoren wurden Handläufe installiert, um die Sicherheit zu gewährleisten. Jedes Rätsel bringt die Teilnehmenden dazu, sich zu bewegen. Wenn die Spieler das Spiel innerhalb der vorgegebenen 72 Stunden abgeschlossen haben, erhalten sie einen Stempel in ihr Reisetagebuch und eine Postkarte, die sie ihren Angehörigen schicken können.
Für weniger mobile Personen hat das Team um Projektleiter Olivier Rime und der Abteilung Physio- und Ergotherapie des HFR eine zweite Variante des Escape-Rooms kreiert, welche die Aktivitäten auf die Zimmer reduziert. Beide Escape-Room-Konzepte verfolgen das Ziel, durch Bewegung und soziale Kontakte frühzeitig auf die Genesung der Patienten einzuwirken, sagt Olivier Rime.

Erfahrungswerte und Habitus

«Meines Wissens gibt es keine Pille, die körperliche Aktivität ersetzen kann», sagt der Projektleiter. Er fügt hinzu, dass «die empirischen Daten die Vorteile körperlicher Aktivität belegen». Allerdings würden innerhalb von 24 Stunden die mobileren Patienten 91% der Zeit inaktiv bleiben. Personen, die auf Hilfsmittel wie ein Infusionsständer oder eine Sonde angewiesen sind, verbringen 99,8% der Zeit liegend oder sitzend [1]. Die psychologische Wirkung der Krankenhausumgebung, «das Bett, der Stuhl, der Fernseher und der Krankenhauskittel führen dazu, dass man diesen Habitus annimmt», sagt die Pflegedirektorin. Die möglichen Folgen sind eine tägliche Abnahme der Muskelkraft, der posturalen Kontrolle, des Plasmavolumens und des intramuskulären Blutflusses um 1–5% sowie ein erhöhtes Risiko für Infektionen und Druckgeschwüre [2]. Um diese Komplikationen zu mildern, sollten Patientinnen und Patienten mindestens 900 Schritte pro Tag machen, zumal sie am ersten Tag nach ihrer Entlassung doppelt so viele Schritte machen würden [3]. «Ihr Potenzial wird also nicht voll ausgeschöpft», sagt Olivier Rime.
Im Jahr 2018 hatte der National Health Service des Vereinigten Königreichs eine ähnliche Kampagne mit dem Titel «Pyjama Paralysis» lanciert. Diese Massnahme soll die Zahl der Stürze um 27%, die Zahl der Druckgeschwüre um 67% und die Aufenthaltsdauer um 1,8 Tage reduziert haben. Wie steht es nach neun Monaten Kampagne um das Projekt des HFR?

Erste Auswirkungen und Stolpersteine

«Obwohl die ersten Auswirkungen des Escape Games emotional sofort sichtbar sind, fehlen noch konkrete Daten wie bei der englischen Kampagne», berichtet Aline Schuwey. Interne Studien, um genaue Daten zu sammeln, werden in Kürze durchgeführt, sagt sie. Olivier Rime bestätigt: «Seit Einführung der Mobilitätsmassnahmen vor zwei Jahren sehen wir, wie sich die Patienten verändern. Andere Massnahmen, die die Patientenschaft motivieren soll, wie der Austausch von Krankenhaus-Kitteln gegen ihre persönliche Alltagsbekleidung, Flashmobs mit Musik und Fitnesskurse am Nachmittag, seien auf das gesamte Spital ausgeweitet worden, so der Initiator des Projekts. Seiner Meinung nach gibt es immer noch Herausforderungen. Einige Patienten würden sich kategorisch einer Teilnahme entziehen. Was die interprofessionelle Zusammenarbeit mit den Ärzten betrifft, «erschweren Arbeitszeit und -belastung des medizinischen Personals die Beteiligung. Dies erklärt zum Teil, warum sie sich an das konventionelle Diagnose- und Behandlungsschema halten, obwohl sie körperliche Aktivität verschreiben könnten», schlussfolgert Olivier Rime. Es wäre ein Status quo, den er sich wünscht.