Löten statt nähen

Löten statt nähen

Wissen
Ausgabe
2024/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1379766276
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(11):62-63

Publiziert am 13.03.2024

Chirurgie
Die Empa hat ein Lötverfahren mit Nanopartikeln entwickelt, bei dem Gewebe sanft verschmolzen wird. Erste Versuche in vivo zeigen vielversprechende Resultate. Ersetzt die neue Methode bald Nadel und Faden?
Seit mehr als zehn Jahren versuchen Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine Szene aus Science-Fiction-Filmen zur Realität werden zu lassen: Wunden sollen mithilfe eines Lasers schnell, sauber und einfach geschlossen werden [1]. Gelänge das, könnten viele Wundinfektionen vermieden werden. Denn: Genähte Wunden sind aufgrund der Lücken zwischen den Fäden anfällig für Infektionen. Jede fünfte Spitalinfektion geht laut Zahlen aus Deutschland auf postoperative Wundnähte zurück [2].
In der Theorie ist das medizinische Löten nicht besonders kompliziert. Dafür muss nur ein Lichtstrahl auf ein Verbandmaterial treffen, das sich dadurch mit den Rändern einer Wunde verklebt. Es ist das gleiche Prinzip wie beim handwerklichen Löten. Praktisch ist das allerdings gar nicht so einfach. Denn, anders als beim Löten mit Metallen, dürfen die Temperaturen beim medizinischen Löten keine hohen Werte erreichen. Sonst entstehen Gewebeschäden, die den Eingriff nicht rechtfertigen. Durchgesetzt haben sich solche Verfahren deshalb bisher nicht. Doch nun hat ein gemeinsames Forscherteam von der ETH Zürich und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) eine neue Methode entwickelt, die es endlich in die Klinik schaffen könnte. Die Details wurden im Fachjournal «Small Methods» publiziert [3].

Infrarotlampe statt Laser

Den Wissenschaftern um Prof. Dr. Inge Herrmann und Oscar Cipolato ist es gelungen, eine neuartige Eiweiss-Gelatine-Paste zu entwickeln, deren Temperatur viel genauer gesteuert werden kann als jene von bisherigen Verfahren. Möglich ist das dank zwei Nanopartikel-Komponenten, die miteinander in Wechselwirkung treten, sobald sie von Lichtstrahlen aktiviert werden. Titannitrid-Nanopartikel wandeln das Licht zuerst in Wärme um und sorgen dafür, dass die Paste flüssiger wird und sich in der Wundregion verteilt. Bismutvanadat-Moleküle stellen danach sicher, dass überschüssige Wärme die bestrahlte Körperregion in Form von Licht wieder verlässt.
Das ist allerdings nicht die einzige Innovation des neuen Verfahrens, das die Forschenden «iSoldering» (deutsch: intelligentes Löten) getauft haben. Sie haben auch den komplizierten Laser ersetzt und die Methode so umgestellt, dass nun einfaches Infrarotlicht fürs Erwärmen der Paste verwendet werden kann. «Das Verfahren funktioniert mit einer Infrarotlampe nach bisherigem Wissensstand gleich gut», erklärt Professorin Inge Herrmann von der Universität Zürich, Letztautorin der Studie. Das könnte bei der Zulassung ein Vorteil sein, denn Infrarot-Laser sind heute schon für den medizinischen Einsatz zugelassen und in vielen Spitälern im Gebrauch.

Noch fehlt das klinische Know-how

«Trotzdem halte ich momentan die Zulassung für die grösste Herausforderung fürs iSoldering», sagt Inge Herrmann, die für ihre Arbeit schon mehrere Forschungspreise erhalten hat. Dank viel Arbeit am mathematischen Modell konnten die Forscher die meisten technischen Probleme bereits lösen. So lieferten Tests der iSoldering-Methode an toten und lebenden Schweinen überzeugende Resultate. Die vernähten Wunden waren dicht gegen aussen und damit tendenziell weniger infektionsanfällig. Wegen der Absenz von Fremdmaterial fällt die Entzündungsreaktion beim iSoldering weniger heftig aus, was die Abheilung der Wunden begünstigt [4, 5]. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Entwickler ihre Methode bereits zum Patent angemeldet haben.
Die Erwartungen an die Innovation aus der Schweiz sind riesig, wie Schlagzeilen von England bis nach Südafrika zeigen [6, 7]. Die Expertise bezüglich des medizinischen Lötens ist momentan aber noch gering. Zwei von der Schweizerischen Ärztezeitung angefragte Chirurgie-Chefärzte der beiden grössten Universitätsspitäler der Deutschschweiz wollten sich nicht zu den Chancen und Risiken der neuen Methode äussern, ebenso wenig wie der Verband der plastischen Chirurginnen und Chirurgen. Das Verfahren gilt momentan als zu weit weg von der Klinik, obwohl im Laborsetting schon besonders komplizierte Wunden an der Bauchspeicheldrüse oder an der Leber mit iSoldering versiegelt werden konnten.

Punktueller Einsatz wahrscheinlich

«Wenn sich die Methode durchsetzen soll, muss sie zeitsparend und vor allem einfach anwendbar sein», sagt Prof. Dr. med. Guido Beldi, Chefarzt für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital sowie Vorstandsmitglied und Ressortvertreter Wissenschaft bei der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie. Grosse Studien und eine bessere Sicherheit seien dabei vielleicht nicht einmal so wichtig wie die Praktikabilität. Denn Chirurginnen und Chirurgen hätten viel Vertrauen in die eigenen Fertigkeiten beim Nähen, und man müsse einen echten Benefit sehen, damit tatsächlich umgestellt werde.
Eine der grössten Hürden könnten allerdings die Kosten sein. Viele Innovationen aus der Forschung scheitern nämlich am Wirtschaftlichkeitskriterium, das bei der Zulassung mitberücksichtigt wird. Einen konkreten Preis für das Löten einer Wunde wollen die Forscher zum heutigen Zeitpunkt nicht nennen. Guido Beldi sieht das Geld dennoch nicht als Problem: «Wenn die Zeitersparnis durch das iSoldering gross ist, dürfte es auch ein wenig mehr kosten als ein Faden. Denn eine Operationsminute ist heute so teuer, dass unter dem Strich mit schnellem Löten eventuell sogar Geld gespart werden könnte.»
Die Zukunft des iSoldering à la Empa hängt also vor allem vom Preis und seiner Einsatzgeschwindigkeit ab. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Methode nicht direkt zum neuen Standard wird, sondern eher punktuell bei komplizierten Wunden eingesetzt wird, die durch herkömmliches Nähen nicht optimal behandelt werden können. Also überall dort, wo ungewollt Flüssigkeit aus der Wunde fliessen könnte oder wo die Strukturen zu fein sind, um verlässlich genäht zu werden – zum Beispiel an der Harnröhre oder am Eileiter.