Bon appétit

Bon appétit

Reportage
Ausgabe
2024/15
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1394455331
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(15):

Publiziert am 10.04.2024

Spitalkost
Sie essen gerne gut? Die Patientinnen und Patienten im Spital ebenfalls. Doch wie kommt das Essen ans Bett und wer sorgt dafür, dass die medizinischen Ernährungsvorgaben eingehalten werden? Ein Blick hinter die Kulissen der Gastronomie und Hotellerie am Luzerner Kantonsspital.
«Stellen Sie sich einfach vor, dass es Butterreis ist.» Mit einem Tablet und Stift in der Hand will Nadine Lasing die Essensbestellung für den nächsten Tag aufnehmen. Und landet dabei in einer scherzhaften Diskussion mit dem Patienten im Spitalbett vor ihr. Denn wenn sie mit dem Stift seine Zimmernummer anklickt, erscheint nur eine kleine Menü-Auswahl. Der Patient hat Schonkost. Für ihn wird es am nächsten Tag weder Menü 1 «Rindfleischvogel mit Spätzli» noch Menü 2 «Curry mit Butterreis» geben. Daher der augenzwinkernde Rat der Frau mit Schal, weisser Bluse und schwarzer Hose, dass er sich das Wunschmenü einfach vorstellen soll.
Was darf es gerne sein? Nadine Lasing nimmt die Bestellung eines Patienten entgegen.
© Eve Kohler
Nadine Lasing ist Hotellerie-Mitarbeiterin am Luzerner Kantonsspital (LUKS) in Luzern. Sie ist für das kulinarische Wohl der Patientinnen und Patienten besorgt – und dafür, dass sich diese an die ärztliche Ernährungsverordnung halten. «Hat jemand eine Sonderkostform, entferne ich alles aus dem Zimmer, was die Person nicht essen darf», sagt Lasing. Selbstverständlich könne sie niemanden davon abhalten, Lebensmittel ins Zimmer zu schmuggeln – etwa ein bisschen Schokolade. Doch so weit es das Essen aus der LUKS-Küche angeht, wachen Nadine Lasing und ihre 50 Kolleginnen aus der Hotellerie am Standort Luzern darüber, dass nur ans Patientenbett kommt, was gemäss ärztlicher Verordnung erlaubt ist. Wenig überraschend endet deshalb auch die laufende Diskussion mit einem Häkchen bei einem der Schonkostmenüs. Der Patient fügt sich gelassen.

«Ich bin die Erste, die die Ernährungsberatung anruft, wenn etwas nicht stimmt», sagt Nadine Lasing.

«Wir sorgen dafür, dass unsere Fachkräfte über mehrere Essen für dieselben Patienten zuständig sind», sagt Leo Ackermann, Leiter Hotelservices LUKS und Guest Relation Manager. So sähen sie, wenn jemand nicht esse oder wenn etwas nicht schmecke. Bevor etwa eine energieangereicherte Suppe zum dritten Mal unangetastet stehen bleibe, sei es sinnvoller, im Bestellsystem eine Notiz für die Ernährungsberatung und die Küche zu machen. Damit beispielsweise auf eine normale Suppe mit einem «Tupf» Rahm umgeschwenkt werden kann. Schliesslich haben die Mitarbeiterinnen der Hotellerie neben dem Pflegepersonal am meisten Kontakt mit den Patientinnen und Patienten. «Ich bin die Erste, die die Ernährungsberatung anruft, wenn etwas nicht stimmt», sagt Nadine Lasing. Sie ist heute im 14. Stock des Hauptgebäudes in der Abteilung für Privatversicherte unterwegs.

Banane ja, Salat nein

In der Bettenstation im 12. Stock kümmert sich Eveline Moullet um die Verpflegung der Patientinnen und Patienten. Auch sie mit Schal, weisser Bluse und einer schwarzen Hose, damit sie vom Pflegepersonal unterschieden werden kann. Gerade lehnt sie am Getränkewagen, mit dem sie zweimal täglich die Runde durch alle Zimmer macht. Sie ist vertieft in ein Gespräch mit der Ernährungsberaterin Andrea Kistler. Beide Frauen tragen eine Maske. Nur wenige Schritte von ihnen entfernt hängt ein Schild an einer Zimmertür, das darauf hinweist, dass sich dahinter ein immunsupprimierter Patient befindet.
Eveline Moullet (links) bespricht sich mit Ernährungsberaterin Andrea Kistler.
© Eve Kohler
Bei ihm muss Eveline Moullet wegen der Chemotherapie darauf achten, dass er ausschliesslich keimreduzierte Kost zu sich nimmt. Nur Früchte etwa, die geschält werden können, und definitiv keinen Salat. In einem solchen Fall sei der Austausch mit der Ernährungsberatung enorm wichtig, sagt sie. Bei diesem Patienten kämen noch Schluckbeschwerden hinzu. Eine weitere Herausforderung für die Verpflegung. Deshalb stecken die beiden Frauen die Köpfe über dem allgegenwärtigen Tablet zusammen und besprechen, was der Patient am besten essen kann.
Es liegt in Eveline Moullets Verantwortung, dass er am Ende auch genau dieses Essen erhält. Sie ist für die Station mit rund 46 Patientinnen und Patienten zuständig. Die Pflege listet die ärztlich verordneten Kostformen auf und die Hotellerie-Mitarbeiterin gleicht Kostform und Verpflegung ab. Am frühen Nachmittag nimmt sie die Essensbestellung für den nächsten Tag auf. Wobei die Bestellung noch bis eineinhalb Stunden vor Essensauslieferung angepasst werden kann. Schliesslich weiss man auch am LUKS, dass sich der «Gluscht» von einem Tag auf den anderen ändern kann. Dem wollen die Hotellerie-Mitarbeiterinnen so weit als möglich Rechnung tragen. «Unsere Mitarbeiterinnen bringen den Dienstleistungsgedanken aus der Gastronomie mit», sagt Leo Ackermann. Jedoch mit einem Unterschied: «Nur im Spital wünschen sie dem Gast am Ende des Aufenthalts, dass er nicht wiederkommt.»

Die Bandkarte weiss Bescheid

Die Bestell-Klicks von Eveline Moullet, Nadine Lasing und ihren Kolleginnen aus dem Serviceteam landen in der Grossküche im Untergeschoss des Hauptgebäudes. Genauer gesagt im Druckerzimmer. Dort beginnt der Drucker um 8.30 Uhr, die Bandkarten für die Menüs der Patientinnen und Patienten auszuspucken.
Die Bandkarte ist der Dreh- und Angelpunkt der Essensproduktion im LUKS. Auf ihr ist in wenigen Stichworten das geballte Wissen aller Fachpersonen zusammengefasst, die in die Ernährung der Patientinnen und Patienten involviert sind. Und das sind nicht wenige.

Die Bandkarte ist der Dreh- und Angelpunkt der Essensproduktion. Auf ihr ist das geballte Wissen der Fachpersonen zusammengefasst.

«Der gemeinsame Weg von Patient und Essen beginnt, wenn er eintritt. Die Stationsärztin führt eine medizinische Standortaufnahme durch, bei der sie auch ein Assessment mit dem Nutrition-Risk-Screening-Score macht», erklärt Dr. med. Stefan Fischli, Chefarzt Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung am LUKS. Für die Abfrage des Scores ploppe im Klinikinformationssystem ein Extra-Fenster auf, damit sie nicht vergessen gehe. Wegweisend für den Umgang mit dem Thema Ernährung bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten sei die Schweizer EFFORT-Studie [1] gewesen, sagt Fischli. Diese konnte 2019 zeigen, dass Patientinnen und Patienten, die im Spital eine individualisierte Ernährungstherapie erhielten, verglichen mit Personen mit einer Standard-Ernährungsform signifikant weniger Komplikationen und eine tiefere Mortalität aufwiesen. «Vorher gab es nur Spekulation über den Einfluss der Ernährung auf den Heilungsprozess, nun haben wir Evidenz», sagt Fischli. Eine Evidenz, die das Bewusstsein für das Thema Ernährung im Spital deutlich gesteigert habe.
Das merkt auch Ernährungsberaterin Michaela Bucher. Wird beim Eintritt eine Mangel- oder Unterernährung festgestellt, geht es nicht lange, bis jemand von der Ernährungsberatung ins Patientenzimmer geholt wird. «Es ist unsere Aufgabe zu erfassen, wo das Problem liegt.» Leidet die Person an Appetitlosigkeit? Ist sie vielleicht nicht mobil genug, um Lebensmittel zu kaufen? Oder sitzt die Zahnprothese schlecht? «Gerade bei älteren Leuten ist ein Fixpunkt im Anamnese-Gespräch, dass wir herausfinden, wie die Ernährungssituation zuhause ist», sagt Bucher. Die Ernährungsberaterinnen und -berater tüfteln nicht nur eine Therapie für den Spitalaufenthalt aus. Je nach Fall suchen sie auch langfristige Lösungen für zuhause.

«Es ist zentral, dass eine umfassende Betreuung von hospitalisierten Patientinnen und Patienten den Ernährungsstatus miteinbezieht», sagt Stefan Fischli.

«Es ist zentral, dass eine umfassende Betreuung von hospitalisierten Patientinnen und Patienten den Ernährungsstatus miteinbezieht», sagt Fischli. Er und sein Team werden vor allem auch hinzugezogen, wenn ein Diabetes mellitus mit im Spiel ist. Denn die beste Ernährungstherapie nütze nichts, wenn der Blutzucker nicht kontrolliert sei und die Nährstoffe nicht aufgenommen würden.
Alles, was die Fachpersonen beschliessen, spiegelt sich im Menü, das auf der Bandkarte steht.
Auch bei den Desserts gibt es mehrere Auswahlmöglichkeiten.
© Eve Kohler
«Sind die Bandkarten ausgedruckt, haben wir zwei Stunden Zeit, um sie zu bearbeiten», sagt Safiullah Shahid, Leiter der Diätküche. Er steht am Kopfende der langen Schöpfkette. Es ist 11 Uhr. Seine Kochstation ist zurzeit verwaist. Für das Mittagessen ist alles fertig gekocht. Ein zufriedenes Lächeln liegt auf seinem Gesicht, während er auf den emsigen Ablauf vor sich blickt. Rund zehn Mitarbeitende sorgen dafür, dass das, was die Köchinnen und Köche zubereitet haben, auf die Teller kommt.

«Bitte Dessert bringen»

Zuvorderst an der Schöpfkette: das Tablett mit der Bandkarte darauf. Zuhinterst an der Schöpfkette: Ein Diätkoch und eine Küchenmitarbeiterin, die jeden vollen Teller mit den Angaben auf der Karte abgleichen.
An der Schöpfkette richten rund zehn Mitarbeitende die Speisen an.
© Eve Kohler
Gelegentlich erklingt eine Lautsprecherdurchsage. Für das ungeschulte Ohr nahezu unverständlich verlangt der Diätkoch damit gewisse Spezialzutaten, die erst am Ende auf den Teller kommen – oder ein besonderes Dessert für einen privatversicherten Patienten. Im Hintergrund sortiert eine grosse Maschine stetig frisch gewaschenes Besteck. Eine Aufgabe, die früher zwei Mitarbeitenden den ganzen Arbeitstag beschäftigt hatte.
Neben Safiullah Shahid gibt es noch sieben weitere Diätköchinnen und -köche, die für die 90 bis 100 Patientinnen und Patienten mit diabetischer Kostform zuständig sind. Zurzeit hätten sie 50 Kostformen, die sie zubereiten können, sagt Shahid. Hinzu kommen spezielle Menüs für die Abteilung für Privatversicherte. Diese erarbeitet das Küchenteam gemeinsam mit Spitzenköchinnen und -köchen aus der ganzen Schweiz. Im Jahr 2022 gewann das Küchenteam gemeinsam mit dem Team des Spitals Linth in der Kategorie «Community Catering» die Goldmedaille bei den Kochweltmeisterschaften.

Vom Untergeschoss in die Höhe

Auch für die normalen Menüs stellt das Team hohe Ansprüche an sich. Schliesslich haben längst nicht alle Patientinnen und Patienten eine vorgeschriebene Kostform. 127 Mitarbeitende sind in Luzern für jene Menülinien zuständig, aus denen die Patientinnen, Patienten und die rund 3500 Mitarbeitenden, die sich im Restaurant verpflegen, täglich auswählen können. Eine der beiden Linien steht für regionale, nachhaltige Gerichte, die sechs Tage in der Woche vegetarisch sind. Seither würde merklich weniger Fleisch konsumiert, sagt Daniel Gehriger, Leiter Gastronomie/Hotellerie LUKS. Er hatte angeregt, dass sich die Hotellerie-Mitarbeitenden um die Essensbestellung kümmern. Vorher musste dies das Pflegepersonal tun. «Jetzt können sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.»
Das Essen kommt: Ein Spital-Mitarbeiter liefert die Speisen per Elektro-Schlepper aus.
© Eve Kohler
Gehriger muss einem Logistikmitarbeiter ausweichen, der sich mit drei silbrig glänzenden Wagen auf den Weg zu den verschiedenen Häusern und Abteilungen des Geländes macht. Unterirdisch sind sie alle miteinander verbunden. Versteckt in den Wagen befinden sich die Tabletts für die Abteilungen. In Kürze werden Eveline Moullet im 12. Stock und Nadine Lasing im 14. Stock die Tabletts entgegennehmen. Dank der Bandkarte sehen sie sofort, ob Text und Teller übereinstimmen. Womit ein letztes Augenpaar sicherstellt, dass alle Patientinnen und Patienten das erhalten, was sie essen dürfen. Und wo immer möglich, das, wonach ihnen der Gluscht steht.