«Ein grosser Nutzen für alle»

«Ein grosser Nutzen für alle»

Aktuell
Ausgabe
2024/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1407361518
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(13-14):29-32

Affiliations
a Dr. med. et sc. nat., Co-Präsident IG eMediplan
b Prof. Dr. med. Dr. phil., Co-Präsident IG eMediplan
c Kommunikationsspezialist FMH

Publiziert am 27.03.2024

Elektronischer Medikationsplan
Im Jahr 2023 wurden in der Schweiz erstmals über eine Million Medikationspläne erstellt. Initiiert wurde diese Erfolgsgeschichte vor rund zehn Jahren vom Verein «IG eMediplan». Die Co-Präsidenten des Vereins blicken gemeinsam zurück – und zeigen auf, welche weiteren Meilensteine sie mit dem eMediplan anpeilen.
Sven Streit, im Jahr 2023 wurden erstmals über eine Million Medikationspläne erzeugt. Was ist der Grund für das derzeitige steile Wachstum?
Sven Streit: Wir waren selber alle überrascht, wie die Anzahl erstellter eMedipläne rasch anstieg. Gleichzeitig passt es aber zum Eindruck, den ich in der Schweiz wahrnehme: Die Basis will nicht mehr auf Papier arbeiten und möchte ihren Patientinnen und Patienten einen Medikationsplan bieten können, der eine Übersicht erlaubt, der sie in die Entscheidungen rund um die Medikation einbindet, und der es erlaubt, unabhängig von Systemen und Sektoren mit dem eMediplan Informationen auch digital auszutauschen. Entscheidend für diese Verbreitung waren die Vermittlungen der IG eMediplan zwischen Leistungserbringern und Institutionen sowie Softwareentwicklern.
Andreas Bührer, Sie waren beim eMediplan seit Anbeginn dabei. Haben Sie damals mit diesem Erfolg gerechnet?
Andreas Bührer: Ja, Olivier Kappeler (Mitgründer und ehem. Co-Präsident, Anm. d. Red.) und ich waren immer überzeugt, dass eine aktuelle vollständige Medikation – ein eMediplan also – gleichermassen für Gesundheitsfachpersonen wie auch für Patientinnen und Patienten wichtig ist und die Initiative «eMediplan» Erfolg haben würde. Begonnen hatte alles im Sommer 2013: Im Rahmen von Brennpunkte Thurgau wurde der «eMediplan» als eine von drei Projektideen aus rund 25 Vorschlägen – also in einem Bottom-up-Ansatz – ausgewählt. Das Konzept eMediplan wurde insbesondere von Gesundheitsfachpersonen aus Arztpraxen, Spitex, Spital, Apotheken, Pflegeheimen entwickelt und im November 2014 in Fischingen vorgestellt.
Abbildung: Ein eMediplan enthält die aktuelle vollständige Medikation einer Patientin oder eines Patienten.
Geht mit diesem Erfolg auch ein grosses Geschäft einher?
Andreas Bührer: Nein, es war nie die Idee, mit der Lancierung des eMediplans ein Geschäft zu machen. Die Motivation war, gemeinsam ein Problem zu lösen, unter dem alle leiden und bei dem alle einen Beitrag zu leisten haben. Mit dieser Motivation wurde dann Ende 2015 die IG eMediplan als Nonprofit-Organisation gegründet, um auf nationaler Ebene eine Stimme zu haben.
Aber Medikationspläne bringen einen grossen Nutzen …
Andreas Bührer: Ja, auf jeden Fall! Der eMediplan bringt einen grossen Nutzen für Gesundheitsfachpersonen, für Patientinnen, Patienten und deren Angehörige und für die Gesundheitsversorgung insgesamt.
Sven Streit: Der eMediplan erleichtert und verbessert zum Beispiel die Medikamentenanamnese. Er erhöht die Arzneimitteltherapiesicherheit und die Therapietreue. Er unterstützt die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten. Der eMediplan ist eine ausgezeichnete Grundlage, um die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsfachpersonen über den gesamten Behandlungsprozess zu verbessern.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit

Co-Präsident IG eMediplan

Der eMediplan verbessert die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsfachpersonen über den gesamten Behandlungsprozess.

Lassen Sie uns noch etwas bei den Anfängen verweilen. Warum haben Sie sich damals «ausgerechnet» den Medikationsplan und nicht das E-Rezept vorgenommen?
Andreas Bührer: Faszinierend am eMediplan – an einem aktuellen vollständigen Medikationsplan – ist, dass kaum etwas anderes in der Medizin, der Gesundheitsversorgung sowohl für Gesundheitsfachpersonen wie auch für Patientinnen und Patienten gleichermassen von Bedeutung ist. Wir wollten uns auf ein Thema fokussieren. Das E-Rezept stand gar nicht zur Diskussion.
Später wurden wir oft gefragt, wieso wir uns nicht auch für ein elektronisches Rezept engagieren würden. Die Antwort war, dass wir mit dem eMediplan mehr als ausgelastet waren und das Rezept beziehungsweise E-Rezept viel stärker gesetzlich reguliert ist. Mit dem Rezept sind standespolitische und kommerzielle Interessen verbunden. Und das Rezept ist nicht für alle Gesundheitsfachpersonen gleichermassen von Bedeutung. Das alles erschwert eine Bottom-up Einführung. Aber klar, eMediplan und E-Rezept gehören wie Geschwister zusammen. Es ist zu überlegen, ob und wie man eMediplan und E-Rezept gemeinsam vorantreiben könnte.
Wenn es sich beim eMediplan also um eine Idee handelt, deren Nutzen allseits gewürdigt wird: Warum hat die Umsetzung dennoch so viel Zeit gebraucht?
Andreas Bührer: Als wir 2013 im Thurgau mit der Idee «eMediplan» starteten, war klar, dass kein Softwaresystem-Anbieter den eMediplan implementieren würde, wenn der eMediplan keine nationale Relevanz haben würde. Bereits im Frühjahr 2015 zeigte HCI Solutions auf eigene Initiative, dass das Konzept technisch funktioniert. Das war gewaltig. Trotzdem brauchte es noch viel Überzeugungsarbeit, bis die Softwarehersteller begannen, den eMediplan zu implementieren. Übrigens wurde damals der QR-Code von manchen als veraltete technische Methode belächelt …
Sven Streit: Die Einführung des eMediplans ist digitale Transformation in Reinkultur. Dabei geht es bei weitem nicht nur um Technisches. Es geht um Menschen, um Ängste, zum Beispiel vor Haftung, vor zeitlicher Mehrbelastung, vor zusätzlichen Softwarekosten ... Das führt dazu, dass «alle» die Idee «eMediplan» grundsätzlich zwar gut finden, aber verschiedenste Argumente ins Feld führen, wieso jetzt noch nicht der geeignete Zeitpunkt zur Umsetzung sei. Digitale Transformation braucht Zeit. Eine afrikanische Weisheit sagt: «Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.»

Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit

Co-Präsident IG eMediplan

Die Basis möchte sich mit ihren Patientinnen und Patienten digital austauschen können.

Aktuell ist man beim E-Rezept in dieser Phase der Implementierung. Das E-Rezept geniesst in der Öffentlichkeit gefühlt mehr Aufmerksamkeit als der E-Medikationsplan. Täuscht dieser Eindruck und wie stehen diese beiden zueinander?
Sven Streit: Geniesst das E-Rezept in der Öffentlichkeit wirklich mehr Aufmerksamkeit als die E-Medikation? Es ist wichtig zu verstehen, wie eng die aktuelle vollständige Medikation – der eMediplan – und das Rezept beziehungsweise das E-Rezept zusammengehören. Das Rezept ist eine «Teilmenge» der vollständigen aktuellen Medikation – gewissermassen des «Therapieplans» – und berechtigt die Person, für die das Rezept ausgestellt wurde, die rezeptierten Arzneimittel bei der Apotheke ihrer Wahl zu beziehen. Idealerweise steht der Apotheke bei der Abgabe der rezeptierten Arzneimittel nicht nur das E-Rezept sondern, auch der eMediplan zur Verfügung. Übrigens basiert der Standard des E-Rezept Schweiz Services auf dem Standard des eMediplans, dem CHMED16A.
Andreas Bührer, Sie haben die Co-Präsidentschaft des Vereins IG eMediplan soeben abgegeben. Was ist der Grund?
Andreas Bührer: Olivier Kappeler und ich waren nun seit über zehn Jahren mit dem eMediplan unterwegs. Mit meinem Rücktritt an der Mitgliederversammlung Mitte März ist ein Generationenwechsel abgeschlossen. Es ist sehr schön zu sehen, dass die Idee hinter dem eMediplan – die vollständige, aktuelle Medikation zu kennen – gerade von jungen Gesundheitsfachpersonen mit grosser Selbstverständlichkeit weitergetragen wird. Das freut mich ungemein. Im Rahmen dieser Veränderungen ist der eMediplan auch aus der Ostschweiz nach Bern umgezogen. Das hat Symbolik und passt.

Dr. sc. nat. et med. Andreas Bührer

Ehem. Co-Präsident IG eMediplan

Es ist zu überlegen, ob und wie man eMediplan und E-Rezept gemeinsam vorantreiben kann.

Sven Streit, Sie sind bereits seit letztem Jahr Co-Präsident. Was sind Ihre Pläne?
Sven Streit: Ich bin stolz auf die bisherigen Erfolge rund um den eMediplan, und dennoch sehe ich die digitale Transformation rund um das Thema Medikation noch nicht abgeschlossen. Beispielsweise kennen die Romandie und das Tessin den eMediplan noch kaum. Daneben gibt es Sektoren beziehungsweise Software, wo der eMediplan technisch noch nicht implementiert ist, und schliesslich – für mich am wichtigsten – möchte ich es ermöglichen, dass alle Menschen beim Medikamentenbezug auch einen eMediplan erhalten. Dadurch sind sie über die eigene Medikation besser im Bild. Ich erlebe es als Hausarzt, der selbst eMedipläne abgibt, als grosse Befriedigung, wenn diese Patientinnen und Patienten dann später wieder mit ihrem eMediplan zurückkommen und mir zeigen, welche Medikation sich nun zum Beispiel verändert hat. Medikation wird auch sicherer, wenn Patient:innen von uns unterstützt werden, ihre Medikation zu verstehen und selber auch zu kontrollieren.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit

Co-Präsident IG eMediplan

E-Rezept und eMediplan gehören zusammen, entwickeln sich parallel und sollen auch mit dem EPD kompatibel sein.

Wie entwickelt sich der eMediplan inhaltlich weiter?
Andreas Bührer: Mit der Verbreitung des eMediplans erlebten wir auch, dass er sich an die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer anpassen musste. Der neue Standart CHMED23A, der kurz vor der Einführung steht, wird es erlauben, komplexere Dosierungen besser abzubilden wie man es in der Onkologie zum Beispiel kennt. Auch ist es uns ein Anliegen, die Darstellung noch einfacher lesbar zu machen gerade für ältere Menschen.
Zum Abschluss: Was versprechen Sie sich vom E-Rezept?
Sven Streit: E-Rezept und eMediplan gehören zusammen, entwickeln sich parallel und im gegenseitigen Austausch, damit beide miteinander und auch mit dem EPD kompatibel sein werden. Als Hausarzt freue ich mich, wenn mir das E-Rezept dieselbe Freude bringt wie der eMediplan, indem Patientinnen und Patienten sowie andere Leistungserbringer – hier die Apotheke – von mir alle Informationen digital erhalten können, welche sie für die Medikationsüberprüfung, -beratung und -abgabe brauchen. Persönlich gehe ich davon aus, dass dadurch nicht einfach ein unnötiger administrativer Mehraufwand entsteht, sondern eine Erleichterung rund um das Thema Medikation, weniger Rückfragen von Patientinnen und Patienten, welche beispielsweise nicht mehr wissen, welches Medikament wir entschieden haben zu reduzieren oder zu steigern, sowie eine bessere interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Apothekerschaft.

Über die IG eMediplan

Ein eMediplan umfasst die gesamte aktuelle Medikation einer Patientin, eines Patienten. Er dient Gesundheitsfachpersonen gleichermassen wie Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen. Der eMediplan ist im Rahmen von Brennpunkte Gesundheit Thurgau 2013/2014 entwickelt worden. Ein Jahr später wurde der Verein IG eMediplan gegründet. Dieser versteht sich als Interessengemeinschaft auf nationaler Ebene und ist offen für alle. Er koordiniert die Einführung und Pflege des eMediplan. Die IG eMediplan finanziert sich über Mitglieder- und Gönnerbeiträge. 2023 kamen neun weitere Mitglieder hinzu, darunter kantonale Ärzteorganisationen. Auch pharmaSuisse und die FMH sind Mitglied der IG eMediplan. Weitere Informationen auf www.emediplan.ch.
Dr. med. et sc. nat. Andreas Bührer ist als selbständiger Berater an der Schnittstelle zwischen Medizin und Informatik tätig. Er war von 2020 bis Mitte März 2024 Co-Präsident der IG eMediplan.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit ist Hausarzt in eigener Praxis und Ausserordentlicher Professor für Grundversorgung Medizin an der Universität Bern. Er ist seit 2023 Co-Präsident der IG eMediplan.
kommunikation[at]fmh.ch