Umfrage Planetary Health VSAO Schweiz

Umfrage Planetary Health VSAO Schweiz

Aktuell
Ausgabe
2024/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1407376542
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(16):34-37

Affiliations
a Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Public Health FMH
b Dr. Med., Co-Leiterin AG Planetary Health VSAO Schweiz

Publiziert am 17.04.2024

Planetary Health
Der Klimawandel ist im medizinischen Alltag angekommen. Wie sich dieser in der klinischen Tätigkeit äussert, welche Massnahmen dagegen umgesetzt werden, welche Probleme dabei noch unbeantwortet sind und welche Wünsche dazu aufkommen, haben der VSAO und die FMH in einer Umfrage bei den Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzten erhoben.
Die Strategie Planetary Health der FMH [1] hält fest: «Der Klimawandel ist die grösste gesundheitliche Bedrohung des 21. Jahrhunderts». In allen vier Handlungsbereichen der Strategie müssen Massnahmen ergriffen werden, um der besonderen Verantwortung der Ärzteschaft gerecht zu werden. Die Ärztinnen und Ärzte sind als Health Advocates die Vertretung der Patientinnen und Patienten und können einerseits für den Erhalt der individuellen Gesundheit durch sorgfältige Behandlung und Betreuung einstehen. Andererseits können sie für den Erhalt und Aufbau einer gesundheitsfördernden Umwelt einstehen. Denn Luftverschmutzung, grosse Hitze oder belastete Gewässer gefährden die Gesundheit ihrer Patientinnen und Patienten. Nicht zuletzt kann die Ärzteschaft durch Förderung der Gesundheit mittels Co-Benefits entscheidend zur Prävention vieler Krankheiten beitragen [2, 3].

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen ein hohes Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit

Viele Fragen, viele Antworten

Um zu verstehen, inwiefern Planetary Health im klinischen Alltag bereits angekommen ist, führte der VSAO Schweiz in Zusammenarbeit mit der Abteilung Public Health der FMH eine Umfrage bei seinen Mitgliedern zum Thema Planetary Health durch. Erfragt wurden folgende Bereiche: Welche Rolle spielt die Klimakrise in der täglichen Arbeit bereits, welche Massnahmen zum Umgang mit der Klimakrise und dem hohen Ressourcenverbrauch werden bereits umgesetzt, welche Massnahmen wünschen sich die Teilnehmenden in diesen Bereichen und wünschen sich die Befragten, dass ihre Berufsverbände sich aktiv mit dem Thema Planetary Health beschäftigen.
Die erreichte Stichprobe umfasst 351 Personen und ist bezüglich Alter, Geschlecht, Fachgebiet und Arbeitsort repräsentativ für VSAO-Mitglieder. Die Kantone Bern und Zürich sind übervertreten, möglicherweise da sich diese Sektionen stark im Thema engagieren und die Umfrage in diesen Regionen stärker verbreitet wurde (siehe Tabelle 1). Die Stichprobe stellt sicherlich nur einen Bruchteil der Schweizerischen Ärzteschaft dar, die Ergebnisse sind somit nicht direkt verallgemeinerbar. Der digitale Fragebogen wurde in Anlehnung an eine Umfrage des Centre for Planetary Health Policy (CPHP) verfasst und vom 21.09.2023 bis 30.10.2023 durchgeführt.

Es scheint, als wären in fast allen Bereichen weitere Massnahmen nötig

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen ein hohes Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit: Vor allem Hitzeexposition wird verstärkt wahrgenommen, rund 42% geben an, deshalb mehr Notfälle behandeln zu müssen. Weitere knapp 33% beraten regelmässig Patientinnen und Patienten zu Klima- und Gesundheitsfragen (vergleiche Abbildung 1). Alarmierend ist jedoch, dass gut 32% der Befragten angeben, dass in ihrem Arbeitsumfeld keine Massnahmen zum Umgang mit den negativen Folgen der Klimakrise wahrnehmbar sind (vergleiche Abbildung 2). In vielen Arbeitsstätten gibt es bereits strukturierte Massnahmen, um dem Ressourcen- und Energieverbrauch zu begegnen. Beispielsweise die Förderung der ÖV-Nutzung (40%), Leitlinien zum Energiesparen (30%), mehr vegetarische Angebote in der Mensa (30%) oder Massnahmen zur Müllreduktion (23%).
Abbildung 1: Einfluss der Klimakrise auf die Arbeit von Assisstenzärztinnen und -ärzten.
Grafik: VSAO Schweiz
Abbildung 2: Wahrgenommene Massnahmen zum Umgang mit den klimatischen Veränderungen.
Grafik: VSAO Schweiz
Die Teilnehmenden wünschen sich zusätzliche Massnahmen in den Bereichen Anpassung und Reduktion. Informationsmaterialien über Zusammenhänge zwischen Hitze und bestehenden Erkrankungen, klinische Leitlinien und Empfehlungen zur Anpassung etablierter Behandlungen an Hitze, Massnahmen zur Reduktion des Materialverbrauchs und weitere werden genannt (vergleiche Abbildung 3). Es scheint, als wären in fast allen Bereichen weitere Massnahmen nötig. Eine teilnehmende Person drückt es folgendermassen aus: «Die Situation ist dramatisch – unser Verhalten aber ‘like business as usual’...».

Zuverlässige Daten zu Emissionen sind unabdingbar, um zielgerichtete Massnahmen ergreifen zu können

Abbildung 3: Gewünschte zusätzliche Massnahmen zu den bereits bestehenden.
Grafik: VSAO Schweiz

Ein weiter Weg

Die VSAO-Umfrage zeigt den weiterhin grossen Handlungsbedarf auf. Sowohl auf Ebene der Verbände, Ämter und der Politik muss eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit und Gesundheitsförderung geschehen, als auch in den Gesundheitseinrichtungen wie Praxen, Spitälern und Kliniken. Dafür sind klare Empfehlungen zum ressourcenschonenden Einsatz von Medizinprodukten und Medikamenten notwendig, Anpassungen von Leitlinien zur Vereinbarkeit von Hygienevorschriften und Nachhaltigkeit sowie neue Fort- und Weiterbildungen der Fachgesellschaften und Berufsverbände. Um das grosse Ganze zu verstehen und die richtigen Massnahmen mit hohem Wirkungsgrad zuerst angehen zu können, muss das Gesundheitswesen in das nationale Treibhausgasinventar aufgenommen werden. Zuverlässige Daten zu Emissionen sind unabdingbar, um zielgerichtete Massnahmen ergreifen zu können. Eine teilnehmende Person drückt es folgendermassen aus «[das] Gesundheitssystem ist beim Thema Klimabewusstsein noch in den Anfängen, Thema Ressourcen- und Energieverbrauch, aber auch Prävention in der Bevölkerung».

Informationsportal Planetary Health

Der VSAO-Leitfaden Planetary Health bietet einfache und konkrete Handlungsmöglichkeiten, um Planetary Health im Praxisalltag zu fördern. Die FMH hat für ambulante Arztpraxen ein Toolkit erarbeitet, welches mit über 60 Massnahmen in 14 Kategorien die Praxen im Wandel zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen kann. Dazu zeichnet die FMH mit dem Planetary Health Award in diesem Jahr erstmals Projekte aus, welche die Nachhaltigkeit im Schweizer Gesundheitssystem fördern (https://planetary-health.fmh.ch).
public.health[at]fmh.ch
nora.hoeger[at]VSAO-bern.ch
1 Strategie Planetary Health FMH vom 7.10.2021
2 Gonzalez Holguera J, Senn N. Das Konzept der "Co-benefits" von Gesundheit und Umwelt. Schweiz Ärzteztg. 2021;102(24):807-809 https://saez.swisshealthweb.ch/de/article/doi/saez.2021.19714/
3 https://www.klimawandel-gesundheit.de/planetary-health/co-benefits/