Von Zecken, zwei Schweizern und drei Erregern

Forum
Ausgabe
2024/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1411787888
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(16):

Publiziert am 17.04.2024

Forschungsgeschichte
Tragen Sie B. burgdorferi, R. aeschlimannii oder R. helvetica in sich? Hoffentlich nicht. Denn alle drei sind zeckenübertragene Krankheitserreger – deren Namen nicht ganz zufällig sehr schweizerisch anmuten. Ein Blick in die Zeckenforschung führt zu Wilhelm Burgdorfer und André Aeschlimann.
Die weltweite Verbreitung von Borrelia burgdorferi (dunkelbraun).
© www.infective-continents.ch
1909 berichtet Arvid Afzelius in Stockholm über Erythema migrans (EM). Bald danach werden weitere Fälle in Europa bekannt und Zecken werden als Überträger eines Erregers vermutet. Nachweisversuche scheitern jedoch. Die Zecken-Hypothese bekommt neuen Schub 1970, als über EM in Wisconsin berichtet wird, und zwischen 1975 und 1977 als der Rheumatologe Allen Steere den Zusammenhang von EM mit Arthritis in Lyme, Connecticut, erkennt.

Von Burgdorfer zu B. burgdorferi

Wilhelm (Willy) Burgdorfer (1925–2014) studiert in Basel Zoologie und promoviert 1951 bei Professor Rudolf Geigy (1902–1995) am damaligen Schweizerischen Tropeninstitut (STI, heute Swiss TPH) über Rückfallfieber, das durch Borrelia verursacht und durch Ornithodoros-Zecken übertragen wird. Kurz danach wandert er in die USA aus, wird Mitarbeiter am National Institute of Health (NIH), dann Leiter dessen «Rocky Mountain Laboratory» in Hamilton, Montana. Er erwirbt sich den Ruf eines soliden Forschers für zeckenübertragene Erreger. Er bleibt Montana Zeit seines Lebens verbunden. Seine Empfehlung für Wanderlustige: «Hosen in die Socken einstülpen und Kleider auf Zecken absuchen.»
Burgdorfer ist wie dafür geschaffen, einen EM-Erreger aufzuspüren. Er findet ihn 1982 in Ixodes dammini (heute Ixodes scapularis) von Shelter Island, New York. Von 126 sezierten Zecken weisen 61% spiralförmige, träge bewegliche Erreger auf, die sich mit Giemsa anfärben und elektronenmikroskopisch Borrelia gleichen. Mit ihnen lassen sich nach durchgemachter Lyme-Krankheit Antikörper nachweisen, die bei Gesunden fehlen [1]. Zwei Jahre später steht fest: Diese Borrelia verursacht EM und Lyme-Krankheit. Sie wird in Yale nach ihrem Entdecker B. burgdorferi benannt [2]. Heute ist B. burgdorferi ein Konglomerat von Arten und B. burgdorferi, EM und/oder Lyme-Krankheit sind in 55 Ländern in Europa (37), Asien (9), Afrika (6), und Amerika (3) bekannt mit Schwerpunkt nördliche Hemisphäre (siehe Karte).

R. helvetica und R. aeschlimannii

Der zweite prominente Schweizer Zeckenforscher, André Aeschlimann (1929–2016), studiert ebenfalls in Basel Zoologie und doktoriert bei Geigy zu Borrelia in Ornithodoros. 1958 folgen Forschungsaufenthalte in Paris (Institut Pasteur), Tansania (Ifakara), Côte d’Ivoire (Centre Suisse de Recherches Scientifiques) und in den USA (1963 bei Burgdorfer in Hamilton). 1962 bis 1970 leitet er das Zeckenlabor des damaligen STI, 1972 bis 1994 ist er Ordinarius für Zoologie und Parasitologie der Universität Neuchâtel. 1979 untersuchen Aeschlimann und Burgdorfer gemeinsam mit Mitarbeitenden das Rickettsien-Spektrum von Ixodes ricinus in der Schweiz. Von 4092 in 5 Kantonen eingesammelten Zecken enthalten 344 (8%) Rickettsia, darunter 110 die unbekannte Art «Swiss agent» [3]. Forschende aus Marseille nennen diese 1993 R. helvetica [4]. Sie verursacht fieberhafte Krankheiten und ist bei Menschen und Zecken aus 23 Ländern bekannt (Europa (21), Tunesien, Japan). In einer weiteren Arbeit zeigen Aeschlimann und Burgdorfer, dass Ix. ricinus in der Schweiz neben Borrelia und Rickettsia auch Coxiella, TBE-Virus, Babesia, apathogene Trypanosomen und Dipetalonema beherbergt [5].
1997 findet die Marseiller Gruppe eine weitere Rickettsie – aus Hyalomma von Rindern in Marokko –, die sie R. aeschlimannii nennt [6]. Auch R. aeschlimannii ist bei Menschen oder Zecken in 27 Ländern auf 4 Kontinenten verbreitet, aber seine Klinik ist unklar. Fazit nach fast 120 Jahren Forschung: Zwei verbreitete Erreger tragen Namen, die an zwei Schweizer Forscher erinnern.
Prof. em. Dr. med. Dieter Stürchler, Universität Basel
1 https://www.science.org/doi/10.1126/science.7043737
2 Johnson RC, Schmid GP, Hyde FW, Steigerwalt AG, Brenner DJ. Borrelia burgdorferi sp. nov.: ethiologic agent of Lyme disease. Int J Syst Bacteriol 1984;34:496-7.
3 Burgdorfer W, Aeschlimann A, Peter O, Hayes SF, Philip RN. Ixodes ricinus: vector of a hitherto undescribed spotted fever group agent in Switzerland. Acta Trop0. 1979; 36:357–67. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/44100/
4 Beati L, Peter O, Burgdorfer W, Aeschlimann A, Raoult D. Confirmation that Rickettsia helvetica sp. nov. is a distinct species of the spotted fever group of rickettsiae. Int J Syst Bacteriol. 1993;43:521–6. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/8102245/
5 Aeschlimann A, Burgdorfer W, Matile H, Peter O, Wyler R. Aspects nouveaux du role de vecteur joué par Ixodes ricinus L. en Suisse. Note préliminaire. Acta Trop. 1979, 36:181-91
6 Beati L, Meskini M, Thiers B, Raoult D. Rickettsia aeschlimannii sp. nov., a new spotted fever group rickettsia associated with Hyalomma marginatum ticks. Int J Syst Bacteriol. 1997;47:548–54. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9103647/