Günstige Langzeitergebnisse nach chirurgischer Behandlung

Schwerpunkt
Ausgabe
2024/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1412108007
Schweiz Ärzteztg. 2024;105:1412108007

Affiliations
a Klinik für Neurochirurgie, Universitätsspital Zürich

Publiziert am 10.04.2024

Rückenmarkserkrankung
Das «Spinale Arachnoid Web» (SAW) ist eine seltene Form der spinalen Arachnopathie, die zu Myelonkompression und Syrinxbildung führt. Neue Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse für die chirurgische Behandlung und Langzeitkontrolle dieser Erkrankung.
Das sogenannte «Spinale Arachnoid Web» (SAW) beschreibt eine seltene Form der fokalen Arachnopathien, welches durch eine fokale Verdickung der Arachnoidea charakterisiert ist, die zu einer lokalen Myelonkompression und teils zu einer kompromittierten Liquorzirkulation mit Ausbildung einer Syrinx führen kann. Klinisch manifestiert es sich häufig durch Schmerzen, sensomotorische Ausfälle sowie klinische Zeichen einer Myelopathie [1]. Trotz der Seltenheit des SAW hat es in den letzten Jahren durch vermehrte Fallbeschreibungen zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen und wird mittlerweile als eigenständige Krankheitsentität mit charakteristischen diagnostischen Merkmalen, klinischem Verlauf und guten chirurgischen Therapieoptionen angesehen [1-3]. Die Abgrenzung unspezifischer Arachnopathien nach Infektion oder Blutung sowie der idiopathischen ventralen Rückenmarksherniation (ISCH) ist von diagnostischer und therapeutischer Relevanz.
Das sogenannte «Spinale Arachnoid Web» (SAW) beschreibt eine seltene Form der fokalen Arachnopathien.
© Olena Yakobchuk / Dreamstime
Bis heute sind lediglich um die 150 chirurgisch bestätigte SAWs in der Literatur beschrieben. Mit einer der größten multizentrischen Serien von insgesamt 21 chirurgisch behandelten SAWs wollen wir im Folgenden die diagnostischen, klinischen und chirurgischen Charakteristika dieser Krankheitsentität darstellen.

Klinische Manifestation und Diagnostik

Das durchschnittliche Alter von SAW-Patientinnen und Patienten liegt bei knapp 50 Jahren. Gemäss verfügbarer Literatur sind, ähnlich wie in unserer Fallserie, primär Männer betroffen. Häufig finden sich stumpfe Wirbelsäulentraumata ohne Frakturen in der Krankengeschichte (Tabelle 1). Klinisch präsentieren sich die Betroffenen primär mit sensiblen Defiziten (81%), gefolgt von motorischen Defiziten (76%) und Schmerzen (71%). Vegetative Dysfunktionen im Sinne von Blasen- und Mastdarmstörungen traten nur bei einer Minderheit der Fälle auf (9,5%). Bei der klinischen Untersuchung konnten in 76% der Fälle Myelopathiezeichen abgegrenzt werden (Tabelle 2). Typischerweise befindet sich das SAW im Bereich der thorakalen Wirbelsäule. In axialer Orientierung ist das SAW fast ausnahmslos dorsal lokalisiert. Als Diagnostik der Wahl gilt das konventionelle MRT mit sagittaler und axialer T2-Wichtung. Dabei gilt als pathognomonisch das sogenannte «scalpel sign», das in der vorliegenden Serie in ausnahmslos allen Fällen abgrenzbar war (Tabelle 1). Hierbei handelt es sich um die lokale Einziehung des Myelons im Bereich des SAW, wodurch der dorsale Liquorsaum die Form einer Skalpellklinge annimmt (Abbildung 1). Darüber hinaus konnte in mehr als 70% der Fälle eine Syrinx entweder oberhalb, unterhalb oder um das Niveau des «scalpel sig» abgegrenzt werden.

Differentialdiagnosen

Gerade wegen der Syrinx werden andere subtile MRT-Merkmale leicht übersehen und SAWs möglicherweise als beispielsweise intramedulläre Tumore fehldiagnostiziert. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass ein Grossteil der SAWs unserer Serie ursprünglich über Tumorboards oder mit Verdacht auf ein neoplastisches Geschehen von extern zugewiesen wurde. Eine zweite wichtige Differentialdiagnose des SAW ist die ISCH. Obwohl beide Erkrankungen gemeinsame klinische Merkmale aufweisen, können spezifische MRT-Merkmale zur Unterscheidung herangezogen werden. Während das «scalpel sign», als pathognomonisch für das SAW gilt [1,4], ist eine Ventralverlagerung des Rückenmarks mit unterbrochenem ventralen Liquorsaum und c-förmiger dorsaler Rückenmarksseite charakteristisch für die ISCH. Bei beiden Krankheitsentitäten ist die Mikrochirurgie die Therapie der Wahl für symptomatische Patienten und Patientinnen. Die operative Behandlung der ISCH erfordert den Verschluss des ventral gelegenen Duradefektes, was auf Grund der grundsätzlich unterschiedlichen Operationsstrategie im Gegensatz zur SAW antizipiert werden sollte.

Chirurgische Therapie

Die chirurgische Therapie von SAWs umfasst eine (Hemi-)laminektomie mit anschliessender mikrochirurgischer intraduraler Exzision der verdickten Arachnoidea Membranen. Dem intraoperativen Ultraschall (ioUS) kommt dabei eine besondere Rolle zu: Zum einen ist sein Einsatz hilfreich zur transduralen Kontrolle und Visualisierung der korrekten Segmenthöhe vor der Durainzision, zum anderen nach erfolgreicher SAW-Exzision zur Überprüfung einer ausreichenden Myelondekompression und Wiederherstellung des zuvor kompromittierten Liquorflusses. Es ermöglicht die direkte Visualisierung der dynamischen, pulsatilen Myelonbewegung nach Exzision der arachnoidealen Membranen und erlaubt somit eine direkte intraoperative Dekompressionskontrolle (Abbildung 1).
Abbildung 1: Pre- (A) und postoperative (B) sagittale MRT Bildgebung mit dem charakteristischen „scalpel sign“ auf Höhe von T7 und assoziierter Syrinx. Intraoperative Darstellung des SAW vor (C) und nach (D) intraduraler Exzision. Intraoperativer Ultraschall in sagittaler Ausrichtung vor (E) und nach (F) Exzision des SAW.

Ergebnisse

Postoperativ zeigten in unserer Serie vor allem die motorischen Defizite eine deutliche Besserung (über 80% der Fälle), gefolgt von den sensiblen Defiziten (77%) und der Schmerzsymptomatik (67%). Die wenigen Betroffenen mit vegetativen Dysfunktionen zeigten nur in 33% der Fälle eine Besserung (Tabelle 2). Diese Zahlen sind vergleichbar mit der Literatur zu chirurgisch behandelten SAWs. Diese Zahlen verdeutlichen eine insgesamt sehr gute Symptomverbesserung nach chirurgischer Behandlung [3,5]. Unsere Serie zeigt eine exzellente Langzeitkontrolle ohne ein Lokalrezidiv oder eine Verschlechterung der Symptome, insbesondere im Vergleich zu unspezifischen spinalen Arachnopathien.

Zusammenfassung

Das SAW stellt eine eigenständige Entität einer fokalen spinalen Arachnopathie dar. Die frühzeitige Erkennung und Abgrenzung unspezifischer Arachnopathien, neoplastischen Rückenmarkserkrankungen und der ISCH, ist durch die sorgfältige Auswertung der MRT-Bildgebung, insbesondere unter Berücksichtigung des subtilen «scalpel sign», essentiell. Bei symptomatischen Patientinnen und Patienten ist die mikrochirurgische Exzision die indizierte Behandlungsmethode, da sie mit einem günstigen Langzeit-Outcome assoziiert wird. Der routinemässige Einsatz von ioUS ist besonders hilfreich, um nach der Visualisierung des SAW vor und nach der Exzision eine adäquate Myelondekompression sowie die Wiederherstellung des Liquorflusses zu verifizieren.
Dr. med. Stefanos Voglis Oberarzt i.V., an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsspitals Zürich
PD Dr. med. David Bellut Leitender Arzt und Stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsspital Zürich
Stefanos.Voglis[at]usz.ch
1 Voglis, S. et al. Spinal arachnoid web—a distinct entity of focal arachnopathy with favorable long-term outcome after surgical resection: analysis of a multicenter patient population. Spine Journal 22, (2022).
2 Elkadi, S., Kraus, A., Krisanda, E. & Sayah, A. Spinal arachnoid webs in adults: Clinical and imaging features in a multicenter study. J Neuroimaging 33, 235–239 (2023).
3 Delgardo, M. et al. Clinical Characteristics, Outcomes, and Pathology Analysis in Patients With Dorsal Arachnoid Web. Neurosurgery 90, 581–587 (2022).
4 Reardon, M. A. et al. Dorsal thoracic arachnoid web and the ‘scalpel sign’: a distinct clinical-radiologic entity. AJNR Am J Neuroradiol 34, 1104–1110 (2013).
5 Nisson, P. L., Hussain, I., Hartl, R., Kim, S. & Baaj, A. A. Arachnoid web of the spine: a systematic literature review. J Neurosurg Spine 1–10 (2019) doi:10.3171/2019.1.SPINE181371.