Ansichtssache

Zu guter Letzt
Ausgabe
2024/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1412135046
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(16):

Publiziert am 17.04.2024

«Jetzt fixieren Sie mal einen Punkt an der Wand und denken an Urlaub», sagte die Ophthalmologin zu mir, bevor sie anfing, sich an meinem rechten Auge zu schaffen zu machen. Während ich versuchte, mich gedanklich auf eine Insel zu versetzen, sah ich, wie meine Welt sich buchstäblich um einige Zentimeter zur Seite bewegte. «Oh, der sitzt aber ganz schön fest», kommentierte sie ihren gescheiterten ersten Versuch, einen Fremdkörper aus meinem Auge zu entfernen. Zweiter Versuch. Wieder sah ich, wie der Druck auf meinen Augapfel mein Blickfeld verschob. «Da haben wir ihn», rief sie triumphierend und zeigte mir den Übeltäter: einen winzigen Krümel, der sich in meine Hornhaut gebohrt hatte.

Ich musste schon oft feststellen, dass Situationen in der Realität viel harmloser sind, als ich sie mir in meiner Fantasie ausgemalt hatte.

Die Erleichterung stand ihr und mir ins Gesicht geschrieben. Ihr, weil sie den kleinen Eingriff erfolgreich abgeschlossen hatte. Mir, weil ich die vergangenen Stunden damit verbracht hatte, das Internet nach Artikeln, Bildern und sogar Videos zum Thema «Fremdkörper im Auge» zu durchsuchen und dabei schier verrückt vor Angst geworden wäre. Nun, da der Eingriff überstanden war, musste ich fast über mich selbst lachen. Denn, so unangenehm die Vorstellung auch ist, sich mit einer Nadel ins Auge piksen zu lassen, so unspektakulär und vor allem schmerzlos ist diese Erfahrung. Einerseits mag das an den betäubenden Augentropfen sowie dem hellen Licht liegen, durch die ich die Nadel kaum auf mich zukommen sah und auch nichts davon spürte, wie sie auf meine Hornhaut traf. Andererseits musste ich schon oft feststellen, dass Situationen meist in der Realität viel harmloser sind, als ich sie mir in meiner Fantasie ausgemalt hatte.
Was entscheidend zu meiner positiven Erfahrung beigetragen hat, war auch die unaufgeregte Art meiner Augenärztin. So hatte sie die Untersuchung mit einer kurzen Anamnese begonnen und einige Tests durchgeführt, um meine Sehschärfe und den Augeninnendruck zu messen und die Beweglichkeit meiner Augen zu prüfen. Diese Routineuntersuchungen waren mir als Brillenträgerin bereits bekannt und nahmen mir die erste Anspannung. Erst danach tropfte sie mir eine fluoreszierende Flüssigkeit ins Auge. Sie schaute sich das «Problemauge» unter dem Spaltlampenmikroskop an. Als sie den Fremdkörper erblickte, reagierte sie schnell und routiniert und kommentierte den Befund und das weitere Vorgehen lediglich mit den Worten: «Sie haben da effektiv was im Auge. Das entferne ich mal eben.» Obwohl sie damit meine schlimmste Befürchtung bestätigte, nahm sie der Situation somit auch jegliche Dramatik – und mir die Zeit, in Panik zu verfallen.

So unangenehm die Vorstellung auch ist, sich mit einer Nadel ins Auge piksen zu lassen, so unspektakulär und vor allem schmerzlos ist diese Erfahrung.

Mittlerweile habe ich auch die Nachkontrolle hinter mich gebracht. Erfreulicherweise hat sich meine Hornhaut komplett regeneriert und mein kleiner «Unfall» keine bleibenden Schäden hinterlassen. Etwas hat diese Erfahrung dennoch in mir verändert. Denn, wenn ich ehrlich bin, habe ich meine Augen und deren gute Gesundheit bisher immer als eine Selbstverständlichkeit angesehen. Umso intensiver versuche ich nun, alle visuellen Freuden, die uns der Frühling gerade beschert, meiner Blicke zu würdigen. Dabei bin ich immer wieder erstaunt, wie viel Neues es zu entdecken gibt, selbst an Orten, von denen ich dachte, sie in- und auswendig zu kennen. Versuchen Sie es doch auch mal!
Sarah Bourdely Junior-Redaktorin Schweizerische Ärztezeitung