Differenzierter Selbstbehalt bei Arzneimitteln

Forum
Ausgabe
2024/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2024.1412870970
Schweiz Ärzteztg. 2024;105(13-14):20

Publiziert am 27.03.2024

Klarstellung
Die vom BAG kommunizierte Änderung beim differenzierten Selbstbehalt hat zu einigen Fragen und Missverständnissen geführt. So wird die Kommunikation dahingehend verstanden, dass alle Originalpräparate von einem erhöhten Selbstbehalt von 40 Prozent betroffen sind. Dies ist so nicht korrekt. Die Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz (vips) stellt die Sachlage klar.
Der reguläre Selbstbehalt bei Arzneimitteln bleibt bei 10 Prozent.
© Clairelucia / Dreamstime
Die Kosten für Arzneimittel, welche in der sogenannten Spezialitätenliste aufgeführt sind, übernimmt die Krankenkasse, wobei in der Regel 10 Prozent vom Versicherten selbst bezahlt werden müssen – der sogenannte Selbstbehalt. Allerdings ist es auch möglich, dass ein erhöhter Selbstbehalt zum Tragen kommt, wenn austauschbare Vergleichspräparate mit unterschiedlichen Preisen auf dem Markt sind. Dafür gibt es klare Regeln. Zur besseren Illustration soll folgendes Beispiel dienen: Ein Originalprodukt verliert das Patent und verschiedene Generika-Anbieter drängen auf den Markt. So kommt es nicht selten vor, dass fünf weitere Vergleichsprodukte neben dem Originalpräparat zur Verfügung stehen. Um nun den Selbstbehalt zu ermitteln, werden die Preise miteinander verglichen. Das günstigste Drittel, in unserem Beispiel wären das die zwei günstigsten Präparate, dient dafür als Basis. Wenn nun der Preis eines Arzneimittels die Basis nicht mehr als 10 Prozent übersteigt, so gilt ein Selbstbehalt von 10 Prozent. Für alle anderen Produkte mussten Patientinnen und Patienten bis anhin 20 Prozent selber tragen.

Differenzierte Kommunikation dringend angezeigt

Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat am 22. September 2023 eine Änderung von Artikel 38a KLV per 1. Januar 2024 vorgenommen.
Dies bedeutet, dass der erhöhte Selbstbehalt von 20 Prozent auf 40 Prozent angehoben wird und der Leistungserbringer Informations- und Dokumentationspflicht hat. Der reguläre Selbstbehalt von 10 Prozent bleibt bestehen.
Basierend auf der BAG-Kommunikation behaupten einige Marktteilnehmer in breit angelegten Kampagnen, dass für Originale generell ein Selbstbehalt von 40 Prozent gilt. Diese Aussage ist klar falsch. Für weit über 50 Prozent der patentabgelaufenen Originale gilt ebenfalls ein tiefer Selbstbehalt. Auf Ebene SKU (Stock Keeping Unit) oder einfach gesagt Artikelnummer sind gerade mal 6 Prozent der Produkte vom erhöhten Selbstbehalt betroffen (siehe Infobox).
Die Regel für einen Selbstbehalt von 10 Prozent ist wie folgt: Günstigstes Drittel der auf dem Markt befindlichen Produkte plus maximal 10 Prozent. Alles, was teurer ist, hat einen Selbstbehalt von 40 Prozent. Das können Originale, aber auch Generika sein. Somit kann man davon ausgehen, dass die Originale, welche einen Selbstbehalt von 10 Prozent haben, zum praktisch gleichen Preis verkauft werden, wie die Generika. Damit tragen sie genauso zur Kostensenkung im Gesundheitswesen bei.

Versorgungssicherheit akut gefährdet

Die Konsequenz der ungenauen Kommunikation des BAG ist mehr als beunruhigend. So brechen die Umsätze vielerorts ein, obwohl die Preise bereits auf Generika-Niveau sind. Die Sachlage hat damit eine hohe Dringlichkeit, weil eine solche Entwicklung unweigerlich zu einer drastischen Reduktion der Angebotsvielfalt führen wird, was wiederum die Versorgungslücken markant ansteigen lässt. Stattdessen wäre es wichtig, den Patientinnen und Patienten in der Schweiz den Zugang zu einer grösstmöglichen Vielfalt an Therapieoptionen mit Originalen und Nachahmerprodukten bieten zu können.
Zur Stärkung des Standortes und damit eine sichere und breit gefächerte Versorgung mit Medikamenten auf lange Sicht gewährleistet ist, muss der Wettbewerb im Sinne von mehr Anbietern und mehr Produkten gefördert werden. Ein solcher Qualitätswettbewerb kommt letztendlich allen zugute.
Mit dem vorliegenden Artikel ist es uns ein wichtiges Anliegen, die Schweizer Ärzteschaft korrekt zu informieren, das heisst, zur Klärung des Sachverhalts beizutragen und die Tragweite der unpräzisen Kommunikation zum differenzierten Selbstbehalt aufzuzeigen.
Ernst Niemack, Geschäftsführer, vips
Liliane Scherer, Leiterin Kommunikation und Politik, vips

Wie wir unsere Kritik der falschen Aussage begründen

Unsere Daten zeigen, dass «nur» 591 SKUs (Stock Keeping Units oder auch Artikelnummern) von 10 196 SKUs einen Selbstbehalt von 40 Prozent aufweisen, was einen Anteil von lediglich 6 Prozent ergibt. Auch die aktuellsten Daten per 01.02.2024 – 10 195 SKUs versus 590 SKUs – bestätigen die 6 Prozent. Quelle: spezialitätenliste.ch / SL-Daten SKU-Ebene vom 30.01.2024.